Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
kleinen Amtsgericht wie in Meiningen gibt es sonst ja kaum Personalfluktuation. Zumal anno ’90 eigens Kolonnen von jungen Richtern aus den alten Bundesländern eingestellt worden waren, die heute noch gut zehn Jahre bis zur Pensionierung abzuschrubben hatten, mindestens.
»Da hat der Hager ja direkt Schwein gehabt«, meinte der Fickel leise. Aber weil es im Tatort gerade so spannend war, hatte eh niemand zugehört, außer dem Kriminalrat Recknagel, der schon seit Minuten nicht mehr hingucken konnte, weil die Botoxkommissarin auf der Mattscheibe sich dermaßen blöd anstellte. Und da konnte man mal sehen, was ein Kriminalistenhirn zu leisten imstande ist. Denn der Recknagel erriet blitzschnell die Gedanken vom Fickel, was andererseits wiederum auch nicht so schwer war, wegen der Parallelen zum aktuellen Tatort .
Der Hager wohnte, wie inzwischen wohl das ganze Gericht wusste, mit Frau und Kind in einem Reihenendhaus in Bad Kissingen, von wo aus der Anfahrtsweg nach Südwestthüringen natürlich nur ein Katzensprung war, zumal auf der neuen Supertrasse A71. Aber wenn der Hager jetzt statt nach Meiningen, sagen wir mal, nach Sondershausen versetzt würde, dann wäre das nicht mehr ein Katzensprung, sondern eher ein Katzenjammer – zweieinhalb Stunden für eine Strecke, mindestens! Dann wäre dem Hager am Ende womöglich nichts anderes übrig geblieben, als mit Kind und Kegel nach Sondershausen zu ziehen, was seiner Frau »garrrandierrrt« nicht gepasst hätte. Ohne jemandem jetzt direkt was zu unterstellen, konnte man sich irgendwo schon vorstellen, wie im Hause Hager die Sektkorken geknallt hatten, als die Kminikowski ins Gras gebissen hatte.
Jetzt ratterte es beim Fickel im Gehirnkasten natürlich nur so: Da saß so jemand auf dem Richterstuhl und schickte den René Schmidtkonz in Untersuchungshaft, und am Ende hatte er bei der Geschichte womöglich selbst seine Finger im Spiel! Nur mal rein hypothetisch: Wenn der Hager das Schäferstündchen der Kollegin Kminikowski mit ihrem Referendar von seinem Büro aus mitbekommen hätte, könnte er vielleicht auf die verzweifelte Idee gekommen sein, seine Konkurrentin aus dem Weg zu schaffen und die Tat als Vergewaltigung zu tarnen, mit der fast zwangsläufigen Folge, dass der amouröse DNA -Lieferant als Mörder in den Bau wanderte und der Hager eine Stelle auf Lebenszeit bekam. Solch ein perfider Plan sah einem wackeren Familienvater und Feigling einerseits zwar nicht ähnlich, andererseits war einem Prädikatsjuristen natürlich alles zuzutrauen. Das sah sogar der Recknagel ein.
Der Fickel und der Kriminalrat waren so in ihre Unterhaltung vertieft, dass sie nicht einmal bemerkt hatten, wie der Driesel bei der ständigen Flüsterei der Kamm geschwollen war. Denn erstens konnte sie sich kaum noch auf den Krimi konzentrieren, und zweitens war der Hager bekanntlich ihr persönlicher Schützling! »Wenn jetzt in Meiningen schon die Richter verdächtigt werden, wo kommen wir denn da hin?!«, rief sie grimmig aus. »Haben denn die Herren vielleicht auch mal an den guten Ruf des Justizstandortes Meiningen gedacht?«
Wo die Driesel recht hatte, hatte sie recht: Falls das regionale Boulevardblatt von dieser obskuren Theorie erfuhr, dass sich Richter wegen einer Planstelle jetzt schon gegenseitig an den Kragen gingen, dann gäbe es einen wochenlangen Spießrutenlauf in der Presse. Diese Aufregung wollte die Driesel dem Kollegen Hager und in erster Linie sich selbst als scheidender Amtsgerichtsdirektorin doch gerne ersparen!
Aber der Fickel wollte aus seinem Herzen keine Mördergrube machen und erklärte, er sei inzwischen von der Unschuld seines Mandanten so gut wie überzeugt. Die Driesel legte da natürlich gleich den Finger in die Wunde und erkundigte sich, wer denn, bitteschön, es sonst getan haben sollte, wenn nicht der René Schmidtkonz? Denn dem Hager traute sie so ein grausames Verbrechen von seiner Persönlichkeitsstruktur her nicht zu. Und als der Fickel jetzt seinen leider noch völlig unsubstanziierten [ 34 ] Verdacht gegen den Landrat andeutete, da schüttelte sie in leiser Verzweiflung den Kopf und meinte: »Wir sind hier doch nicht beim Tatort , gell?«
Denn beim Krimi lief es bekanntlich meistens so: Zum Schluss war derjenige, der anfänglich über die Tat scheinbar am meisten verzweifelt war, faktisch immer der Täter: also der Sohn, die Tochter, die Ehefrau oder eben der Ehemann! Und schließlich war allen noch die Szene am Grab präsent, als der Landrat in
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