Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
unglücklich war? Immerhin hatte der Landrat bei ihrem ersten Gespräch nicht einmal gewusst, dass seine Frau empfängnisfördernde Medikamente einnahm!
Nicht dass sich die Oberstaatsanwältin an der Vorstellung, die Ehe der Kminikowskis habe unter libidinösen Störungen gelitten, delektiert hätte. Aber je mehr sie sich mit dem Leben ihrer toten Kollegin auseinandersetzte, desto offensichtlicher wurde, dass sie für die glitzernde Fassade einen hohen Preis bezahlt hatte. Niemand konnte so gut wie die Oberstaatsanwältin einschätzen, welche Opfer eine Topjuristin für ihren Beruf bringen musste. Seit ihrer gescheiterten Ehe hatte die Gundelwein, wenn sie ehrlich zu sich war – und das war sie eigentlich fast immer –, nicht mehr konsequent nach Gelegenheiten gesucht, an ihrem Single-Dasein etwas zu ändern. Wie auch, bei einer Sechzig-Stunden-Woche in einer Kleinstadt, wo man nicht mal mit einem Kollegen etwas trinken gehen konnte, ohne dass am nächsten Tag das ganze Gericht Bescheid wusste? Was blieb, war die Anonymität des Internets. Aber nach der niederschmetternden Erfahrung mit dem Fickel war sie sehr misstrauisch geworden und hatte seit ihrer Scheidung keinen der durch ausgeklügelte Computeralgorithmen ausgewählten Kandidaten mehr für wert befunden, sich privat mit ihm zu treffen.
Ein einziges Mal hatte die Oberstaatsanwältin einen kleinen Ausbruch unternommen und bei einem speziellen Veranstalter eine sündhaft teure Reise in die Karibik gebucht, nachdem sie einen sexistischen, aber gerade deshalb realistisch anmutenden Roman des französischen Schriftstellers Michel Houellebecq gelesen hatte. Doch die männlichen Reiseteilnehmer waren ohne Ausnahme Hasardeure und schwer Vermittelbare gewesen, die denselben Roman gelesen hatten und mit ebenso riesigen wie unerfüllbaren erotischen Erwartungen ins Flugzeug gestiegen waren. Die Gundelwein hatte natürlich von Berufs wegen einen geschulten Blick für halbseidene Typen und es daher vorgezogen, sich von sämtlichen Gruppenaktivitäten fernzuhalten und lieber allein am Strand den neuen Roman von Siri Hustvedt zu lesen.
Sie stieg aus der Badewanne und trocknete sich gründlich ab. Der Oberarzt hatte Fotos von sich geschickt. Er sah nicht unsympathisch aus, ein bisschen aufgeschwemmt vielleicht, aber insgesamt noch im Rahmen. Sie versuchte, ihn sich nackt vorzustellen, aber merkwürdigerweise bekam er in der Fantasie der Gundelwein sogleich den trapezförmigen Schwimmer-Oberkörper des Landrats Kminikowski – bestimmt kein schlechter Deal für den Mediziner.
Die Gundelwein zog sich ihren bequemen Hausanzug über, setzte sich an den Rechner und googelte den Namen des Oberarztes: »Dr. Welsch«. Die Suche verlief nicht sehr ergiebig. Unter anderem fand sie eine alte Doktorarbeit über künstliche Hüftgelenke, aber es blieb ungewiss, ob tatsächlich ihr Internetverehrer der Autor war. Schließlich gab die Oberstaatsanwältin testweise den Suchbegriff »Schmalkalden-Meiningen-Klub« in ihren Computer ein. Die Suchmaschine meldete keine relevanten Treffer. Also gab sie die Suchbegriffe noch einmal einzeln ein. Erwartungsgemäß tauchten nun eine ganze Reihe von Einträgen auf, die meisten von örtlichen Fußball- und Kegelklubs, die ausführlich über ihre nichtigen Aktivitäten und geselligen Grillabende berichteten. Darüber hinaus fand die Gundelwein zwei kleine Meldungen aus der Lokalpresse, die kurz und schmucklos eine Tagung erwähnten, bei der über Zukunftsfragen der Region beraten wurde, ohne weitere Details zu nennen. Eine offizielle Verlautbarung oder gar eine Homepage gab es nicht.
Offensichtlich war den Veranstaltern dieses »Klubs« daran gelegen, nicht allzu viel Aufhebens um sich zu machen. Das sprach für die Exklusivität der Veranstaltung, ebenso wie die Tatsache, dass ein landespolitisches Schwergewicht wie Doktor Veith daran teilnahm. Wo sie schon mal dabei war, jagte sie nun auch Dr. Ullrich Veith durch die Suchmaschine, Leiter der Abteilung 3 des Thüringer Justizministeriums, die für Strafrechtssachen zuständig war. Wenn es ein Karrieresprungbrett für eine irgendwo immer noch ziemlich junge Staatsanwältin gab, dann war es diese Abteilung.
Eigentlich musste sie René Schmidtkonz fast dankbar sein. Ohne sein furchtbares Verbrechen wäre sie nie in diese Sphären gelangt. Wenn sich die Oberstaatsanwältin nicht noch ein zweites und drittes Glas Rotwein genehmigt hätte, hätte sie sich wahrscheinlich nicht gestattet, von einer
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