Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
nach der irritierenden Begegnung im Schwimmbad, hatte sich die Oberstaatsanwältin an den Schreibtisch gesetzt und ihre ganze aufgestaute Schaffenskraft in das Verfassen der ersten Absätze ihrer Anklageschrift gesteckt. Im Eifer des Gefechts hatte sie kaum bemerkt, wie die Zeit verrann, und als sie das nächste Mal auf die Uhr blickte, war es bereits vier Uhr am Morgen gewesen.
Nach fünf Stunden Schlaf, mehr brauchte sie im Allgemeinen nicht, absolvierte die Oberstaatsanwältin am Sonntagmorgen einen kurzen Waldlauf – knapp zehn Kilometer, gerade genug, um nicht einzurosten. Danach mischte sie sich eine Schale Müsli zusammen und studierte beim Essen die Sonntagszeitung, sogar die Partnerschaftsanzeigen, allerdings nur, um sich über die altmodisch anmutenden »Herzenswünsche« zu amüsieren.
Immerhin brachte die Lektüre sie auf die Idee, sich kurz in der Partnerbörse einzuloggen, und siehe da: Der Oberarzt aus Eisenach hatte wider Erwarten doch noch zurückgeschrieben. Der Titel seiner Mail, »Goldnugget«, ließ das Herz der Oberstaatsanwältin kurz höher schlagen. Er entschuldigte sich, dass er wegen seines »aufreibenden Schichtdienstes« nicht dazu gekommen sei, früher zu schreiben. Im Übrigen schlug er vor, sich baldmöglichst persönlich zu treffen. Er sei vom »Goldfieber« gepackt. Die Oberstaatsanwältin zögerte. Dieser Typ machte offenbar keine Gefangenen. Sie beschloss, ihn noch etwas zappeln zu lassen und vorerst noch ein paar Hintergrundinformationen einzuholen, Matchingpunkte hin oder her.
Schließlich setzte sich die Gundelwein wieder an den Schreibtisch und feilte weiter an ihrer Anklageschrift. Die Beweiswürdigung [ 32 ] war juristisch alles andere als ein Spaziergang. Am einfachsten wäre es natürlich gewesen, wenn sich der Beschuldigte geständig eingelassen oder wenigstens in Widersprüche verwickelt hätte. Sein Schweigen bedeutete, dass alles auf einen Indizienprozess hinauslief. Daher musste ihre Argumentation besonders zwingend sein, um die Kammer von seiner Schuld zu überzeugen. Wenn sie bloß erreichte, dass der Prozess eröffnet wurde, dann würde sie aus der Sache als Siegerin hervorgehen. Im Schlagabtausch vor dem Richtertisch konnte ihr niemand das Wasser reichen, am wenigsten ihr Exmann.
Als die Gundelwein am späten Nachmittag vom Schreibtisch aufstand, hatte sie bereits die ersten fünfzehn Seiten der Anklageschrift fix und fertig ausformuliert. Berauscht von ihrer eigenen Produktivität gönnte sie sich ein Gläschen Rotwein und schrieb dem Oberarzt aus einer plötzlichen Laune heraus eine kurze, aber geistreiche Notiz zurück, um ihn weiter anzufüttern.
Kurze Zeit später lag sie entspannt in ihrer frei stehenden Badewanne und genoss von dort den immer wieder erstaunlichen Weitblick über die Stadt. Die einzige wirklich gute Erinnerung an ihre Ehe war diese großzügige Wohnung in der herrschaftlichen Villa an der Berliner Straße, die sie ihrem Exmann abgejagt hatte. Ein Mietvertrag aus den siebziger Jahren, wo gab es so was noch? Der Eigentümer hatte sogar schon mal versucht, sie rauszuklagen. Netter Versuch!
Die Gundelwein drehte den Hahn auf und ließ heißes Wasser nachlaufen, bis ihre Haut krebsrot wurde wie bei einem Sonnenbrand. Der leichte Schmerz war nicht unangenehm, doch leider beschlug das Panoramafenster von dem verdampfenden Wasser. Sie schloss entspannt die Augen und ließ ihre Gedanken schweifen. Merkwürdigerweise kam ihr dabei das Wettschwimmen mit dem Landrat in den Sinn.
In der Erinnerung bekam die Begegnung beinahe eine erotische Note, denn der Gundelwein waren die Blicke des Landrats, als sie leicht bekleidet in der Umkleidekabine vor ihm gestanden hatte, nicht entgangen. Die Oberstaatsanwältin war sich bewusst, dass sie sich durchaus sehen lassen konnte. Mit Ende dreißig musste sie mehr dafür tun als früher, aber im Unterschied zu den meisten ihrer Altersgenossinnen, insbesondere den selbstgenügsamen Muttertieren, war sie blendend in Form. Wenn schon nicht, um den Männern zu gefallen, so zumindest, um sich alle Optionen offenzuhalten. Man konnte ja nie wissen …
Sie griff nach dem Rotweinglas, das sie neben der Badewanne bereitgestellt hatte. »Sylvias Familie hasst mich«, hatte der Landrat freimütig zugegeben. Ein Schatten war auf das einstige Power Couple, die Clintons von Meiningen, gefallen. Aus welchem Grunde sollte ein Vater den Schwiegersohn hassen, wenn nicht einzig und allein deswegen, weil die eigene Tochter
Weitere Kostenlose Bücher