Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
Mal, wenn eine Kellnerin oder ein Gast rein oder raus ging, hatte er gerade den Mund voll oder war anderweitig abgelenkt. Aber er war natürlich zu neugierig, und darum fiel ihm jetzt wieder die Episode aus seiner Jugend ein, wie er damals auf der POS [ 42 ] mit seinem Mitschüler Rainer Kummer die Freundschaftspionierleiterin Heike Dietz durchs Schlüsselloch beim Zuknöpfen ihrer FDJ -Bluse beobachtet hatte. Und was seinerzeit so prima geklappt hatte, das sollte eigentlich auch heute noch funktionieren, dachte sich der Fickel.
Als er jedoch vor der Tür stand, spürte er plötzlich so etwas wie eine innere Blockade. Denn logisch: Sobald sich im Restaurant einer bewegte, machte er sich bei den anderen Gästen interessant. Das galt selbst für das Wachschläferpärchen. Aber zu Fickels Glück ging just in dem Moment die Tür auf und eine Kellnerin kam aus dem Zimmer, sodass der Fickel einen kurzen Blick ins Innere erhaschen konnte. Doch zu seiner Enttäuschung hing da niemand im Latexkostüm an der Decke, und es wurden auch keine Peitschen geschwungen. Statt einer » SM -Orgie« machte die Veranstaltung eher den Eindruck eines biederen Versicherungsvertretertreffens, mal abgesehen von dem in der Tat erstaunlichen Buffet.
»Kann ich Ihnen weiterhelfen?«
Die Kellnerin hatte die Tür geschlossen und sah den Fickel mit so einer Art ostentativer Freundlichkeit an, dass es eigentlich schon wieder unfreundlich wirkte.
»Wo sind denn hier die Pissoirs?«, fragte der Fickel, denn er hatte nicht vergessen, dass Französisch in diesem Laden offenbar zum guten Ton zählte. Die Kellnerin blickte nichtsdestoweniger leicht irritiert und wies ihm den Weg. Und wer stand da breitbeinig am Urinal? Glücklicherweise war der Exner gerade so mit sich selbst beschäftigt, dass der Fickel unerkannt in die nächstbeste Kabine verschwinden konnte. Im Gegensatz zu einem Agentenkrimi konnte der Fickel in seiner Toilettenkabine aber leider keine Gespräche oder Handytelefonate belauschen, nur die seltsamen Geräusche, die ein gut sechzigjähriger Exstaatsbürgerkundelehrer von sich gibt, wenn er glaubt, beim Pinkeln allein zu sein.
Man kann sich vorstellen, wie froh der Fickel war, als er wieder auf seinem Platz saß und dem Klaviergeklimper lauschen konnte. Der Kellner-Azubi berichtete ihm auf Nachfrage lediglich, was er schon wusste, nämlich dass im Nebenraum eine »Tagung« stattfand mit vielen »wichtigen Leuten«. Natürlich war der Azubi sauer, dass er selbst nicht dort eingesetzt wurde, weil es da drinnen gutes Trinkgeld hagelte. Der Fickel hätte in der Bemerkung auch einen Wink mit dem Zaunpfahl sehen können, weil er gerade sein Portemonnaie draußen hatte, aber auf dem Ohr war er taub. Auf dem anderen sowieso, denn da saß schließlich »Richard Clayderman«.
Gesättigt, aber nicht satt, machte sich der Fickel wieder auf den Weg in seine Suite, wo immerhin noch die Erdnüsse in der Minibar auf ihn warteten. Aber da spielte ihm gleich noch mal der Zufall in die Hände. Denn an der Nachbartür klebte so ein gelber Post-it-Zettel, wie er in Büros und Amtsstuben quadrillionenfach im Einsatz ist. Der Fickel ist nicht der Typ, der so eine einmalige Gelegenheit vorüberziehen ließ, ohne wenigstens kurz nachzusehen, was da wohl auf dem Zettel stand. »Hi Peter, bin im Wellnessbereich. See you later! U.«
Wer auch immer sich hinter der Initiale »U.« verbarg, hoffte offenbar auf ein Rendezvous mit dem Kminikowski. So häufig ist der Name »Peter« heutzutage ja aus gutem Grunde nicht mehr; und wer würde schon so viel Geld für eine Suite aus dem Fenster werfen, abgesehen von einer herausragenden Persönlichkeit wie dem Landrat? Und dem Fickel natürlich. Letzteren konnte man kurze Zeit später, angetan mit einer mintgrünen Unterhose, die ohne Weiteres als Badehose durchgehen konnte, und einem hoteleigenen weißen Bademantel über den Flur wandern sehen. Wobei er von »Wellness« bislang nur so eine ungefähre Vorstellung hatte, und nicht gerade die beste.
Selbstverständlich stand auch im Keller vor dem Wellnessbereich wieder ein Schild: »Ab 20 h geschlossene Gesellschaft«, und langsam kam der Fickel sich in diesem Hotel vor wie in einem existenzialistischen Theaterstück. Aber diesmal ließ er sich nicht aufhalten und marschierte einfach keck an dem Schild vorbei, denn im unbekleideten Zustand unterschied er sich weit weniger von den »geladenen Gästen« als in seinem abgeschmirgelten Cordjackett.
Was der Fickel in dieser
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