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Herrgottschrofen

Herrgottschrofen

Titel: Herrgottschrofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Ritter
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einer der Wände des Treppenaufganges und wollte Jo das Bild aus der Hand nehmen, um es aufzuhängen.
    »Thanks, das mache ich selbst.« Sie hängte den Bilderrahmen an den Nagel. Hinter dem Glas befand sich ein weißes Stück Papier, auf dem sie ein altes Schwarzweißfoto geklebt hatte. Darauf waren Franziska und Josepha als Kinder zu sehen und im Hintergrund der Rießersee und die Waxensteine. Daneben hatte sie »Franziska, ich vermisse dich!« geschrieben und ein Edelweiß geklebt, das sie offenbar aus einer Zeitschrift ausgeschnitten hatte.
    »Du warst schon immer so stur, ich erinnere mich«, sagte Martin Bruckmayer nach einem Augenblick der Andacht.
    Sie antwortete nicht, sondern ging hinauf zur Kirchentür. Wortlos trat sie ein, bekreuzigte sich mit dem Weihwasser und deutete einen Knicks in Richtung Altar an. Martin Bruckmayer folgte und tat es ihr gleich. Die kleine Barockkirche war menschenleer.
    »Das wollte ich sehen. Ich habe im Internet gelesen, dass es hier hängt.« Jo Saunders stand vor einem Gemälde, das den Einzug der amerikanischen Truppen in Garmisch-Partenkirchen im April 1945 zeigte. »Damals sind wir oben auf dem Kochelberg gesessen und haben alles angeschaut, erinnerst du dich?«
    »Unglaublich. Wir waren fünfzehn. Wir sind ein Stück Geschichte, Jo.«
    »Und danach hat unser neues Leben angefangen. We are blessed, you know.«
    »Lass uns eine Kerze stiften.«
    Sie gingen zum rechten Seitenaltar, wo sich ein großer Kerzenständer befand. Martin nahm einen Schein aus der Brieftasche und steckte ihn in die schwarze Kassette.
    »Dafür darfst du alle Kerzen hier anzünden«, sagte Jo.
    »Es gibt genug verlorene Seelen. Lass uns für sie beten.« Er nahm eine einzelne Kerze aus dem Fach, entzündete sie an einer bereits brennenden und steckte sie in einen Halter. Dann ging er zurück ins Hauptschiff, nahm in der ersten Reihe Platz und kniete sich zum Gebet nieder.
    Jo blieb bei den Kerzen stehen. Auch sie nahm eine, entzündete sie und steckte sie fest. »Franziska, I miss you«, sagte sie und schloss fest die Augen, um ihren innigsten Wunsch mit aller Kraft an Gott, das Universum oder wer auch immer dafür zuständig war zu übermitteln: Die Mörder von Franziska sollten gefunden und bestraft werden.
    Nach einer gefühlten Ewigkeit berührte Martin sie am Arm. »Komm, lass uns gehen«, sagte er, und sie verließen das kleine Wallfahrtskirchlein durch den Seitenausgang.
    Draußen fanden sie sich inmitten der nach dem langen Winter erwachenden Natur wieder. Zartes Grün schlug aus den Laubbäumen, und auch die Latschen und Fichten wechselten ihre Farbe von Dunkel nach Hell. Der Wiesenhang, an dem das Kloster St. Anton lag, war mit Krokussen und Maiglöckchen gesprenkelt.
    »Wenn wir uns doch nur so erneuern könnten, jedes Jahr«, seufzte Jo Saunders.
    »Der Herrgott gibt’s, der Herrgott nimmt’s«, sagte Martin Bruckmayer.
    »Ich wusste gar nicht, dass du so religiös bist, Martin. Warst du das schon immer?«
    »Wer wie ich viel herumgekommen ist, der braucht etwas zum Festhalten«, erklärte er. »Nachdem mein Vater die Brauerei verkauft hatte und meine Eltern bald darauf beide verstorben sind, hatte ich einen Haufen Geld. Aber glücklich war ich nicht. Die Holländer haben mir dann den Job bei ihnen angeboten und mich um die Welt geschickt. Aber zu Hause war ich nirgends. Also habe ich mich auf jene Wurzeln besonnen, die jeder von uns hat und die nichts zu tun haben mit dem Ort, an dem man sich gerade befindet, oder den Verhältnissen, aus denen man stammt und in denen man lebt. Den Glauben.«
    »Ich hatte meinen Halt in Tom. Ich habe für ihn gelebt. Und für meinen Sport, natürlich. Aber Tom …« Sie legte sich die Hand aufs Herz. »Hier drinnen habe ich nur für ihn gelebt. Hätte ich gewusst, dass er mich so hintergeht … Bastard …«
    »Du darfst nicht so streng über ihn urteilen, Jo. Er wollte dich schützen. Vergib ihm. Er war ein guter Mann.«
    »Das kann ich nicht. Vielleicht, wenn ich diese Mörder gefunden habe. Vielleicht kann ich ihm dann danken, dass er die alten Unterlagen nicht verbrannt hat.«
    Sie gingen eine Zeitlang schweigend auf dem Spazierweg nebeneinander her.
    »Dass du das sagst … ›Er war ein guter Mann‹ …«, sinnierte Jo Saunders. »Obwohl er mich dir weggenommen hat?«
    »Das habe ich überwunden. Und du bist ja zu mir zurückgekehrt.«
    »Bin ich das?«
    »Zumindest für eine Weile. Mal sehen, was daraus wird.«
    »Well, auch du bist stur,

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