Herrgottschrofen
der Zeichnung und machte im Eislaufkostüm gerade einen Sprung. Die andere trug einen sehr kurzen Rock und ein Spitzenhäubchen und staubte mit einem langen Feudel den Titel des Programms MAKE A WISH ab.
»Ich gehe davon aus, dass die gezeichnete Dame in der Mitte Sie sind, Frau Saunders.« Frey schlug das Heft an der Stelle auf, an der ein Post-it klebte. Dort zeigte ein Foto eine Eistänzerin, die der auf der Titelseite gezeichneten sehr ähnelte. »Josepha Stiller« stand über dem Schwarzweißbild.
»Herrje.« Mehr sagte Jo Saunders nicht.
»Jedenfalls, ich hab mir alle Bilder in diesen Programmheften genau angesehen. Und irgendwann bin ich drauf gekommen: Das war wie im Zirkus. Die Leute mit der Bären-Nummer sind auch die Luftakrobaten. Lazlo Balta taucht oft in den Programmen auf. Bis 1953. Dann verschwindet sein Konterfei. Und bis dahin hat er drei verschiedene Namen. Da, sehen Sie selbst.« Albert Frey schlug weitere Hefte auf, dort, wo er jeweils ein Post-it auf die Seite geklebt hatte. »Bill Murray. Hamilton Griffin. Franz Dachstein. Das ist immer Lazlo Balta.«
»Jetzt, da Sie es sagen … Natürlich. Wir hatten ja die unterschiedlichsten Nummern und trugen teilweise auch Masken. Gerade die Boys, die unsere Auftritte, also die der Stars, eher abrundeten. Darum konnte ich mit den Namen auch nichts anfangen, als ich die in den Akten meines Mannes …«
»Was sagen Sie dazu, Herr Bruckmayer?«
»Pff … Ich stand hinter dem Tresen und hab Bier gezapft. Und ständig neue Fässer angeschlagen. Was da vorn auf der Eisfläche ablief, hat mich ehrlich gesagt nicht so interessiert.«
»Verständlich«, meinte Frey und erklärte dann: »Ich habe diese Namen mit der Einwohnerkartei verglichen.«
»Und?«, fragten Jo Saunders und Martin Bruckmayer wie aus einem Mund.
»Nichts. Da findet sich weder ein Bill oder Robert Murray noch ein Hamilton Griffin noch ein Franz Dachstein.«
»Herr Frey, ich bekomme gleich eine Heart Attack …«, schimpfte Jo Saunders.
»Na gut, um es abzukürzen: Ich habe mich mit der ungarischen Sprache beschäftigt. Konnte nicht schlafen die halbe Nacht. Und im Internet … Na ja, teto heißt Dach auf Ungarisch. Und ko heißt Stein. Und 1953 hat sich ein Ferenc Tetoko in Garmisch niedergelassen.«
»Franz Dachstein …«, murmelte Martin Bruckmayer.
»Und was ist mit ihm?«, wollte Jo Saunders wissen.
»Ferenc Tetoko war Eislauftrainer für die Jugend des Sportclubs Riessersee. Bis Ende der Achtziger. Allerdings wieder unter anderem Namen. Er hat 1972 in Garmisch geheiratet und den Namen seiner Frau angenommen. Und seinen Vornamen wieder eingedeutscht. Franz Blechschmied. Und jetzt halten Sie sich fest. Er lebt noch. Ist Großvater und dreifacher Urgroßvater. Jeden Donnerstagnachmittag um vierzehn Uhr liest er Kindern im Michael-Ende-Haus zwei Stunden aus Büchern vor.«
»Und er war es? Er hat Franziska …«
»Moment, meine Liebe, das geht zu schnell«, fiel Martin Bruckmayer ein. »Da sind ein paar Unwägbarkeiten in der Geschichte. Erstens: Der Geheimbericht von deinem Mann, die alte Akte … Das muss so nicht stimmen. Das sind Vermutungen. Verdächtigungen. Also: War Lazlo Balta überhaupt beteiligt? Oder, noch davor: Ist Franziska überhaupt auf diese grässliche Art und Weise …«
Jo Saunders stoppte Martin: »Dass sie das ist, steht fest. Das waren ihre Knochen. Hat der DNA-Test ergeben.«
»Gut. Aber dennoch: War es dieser Lazlo Balta? Ist Lazlo Balta dieser Franz Dachstein? Ist Franz Dachstein dieser Ferenc Tetowo oder wie auch immer?«
»Tetoko«, sagte Albert Frey. »Aber Sie haben natürlich recht, Herr Bruckmayer. Sicher ist gar nichts.«
»Und was ist mit dem anderen, diesem Paul Rudolph?«, fragte Jo Saunders.
»Nichts. Keine Hinweise. Der war ja Kellner. Und die stehen nicht in den Programmheften. Aber vielleicht bekommen wir auf anderem Wege etwas heraus.«
»Ich wüsste einen«, sagte Jo Saunders. »Ask Franz.«
»Ich soll den Franz Blechschmied aufsuchen für Sie, gnädige Frau?«
»No, thanks. Ich werde es selbst tun. Wo ist dieses Michael-Ende-Haus?«
Dem Mann vom LKA war sichtlich unwohl in seiner Haut. Obwohl die Mittagstemperaturen an diesem 2. Mai durchaus dazu angetan waren, sich auf den Aluminiumstuhl des Segafredo am Rindermarkt zu fläzen und den Sonnenstrahlen möglichst viel Fläche zu bieten, saß der Mann zusammengesunken vor seinem Cappuccino. Den Kragen der schwarzen Lederjacke hatte er hochgeschlagen und die Basecap tief ins
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