Herrgottschrofen
Geburtsort, dieselbe Adresse«, staunte Jo Saunders, die sich die Fotos genau besah. »Der eine meldet sich kurz vor Weihnachten ab, und der andere zieht an genau diesem Tag zu?«
»Seltsam, oder? Kann natürlich passieren, so ein Zufall. Aber jetzt kommt’s.« Frey zog das Original einer Personalliste des amerikanischen Armed Forces Recreation Centers hervor. Sein Zeigefinger wanderte über die Zeilen nach unten. »15. November 1960. An diesem Tag werden so ziemlich alle Bediensteten in den Hotels der Amerikaner entlassen. Das ist normal. Machten Hoteliers früher im ganzen Ort so, wenn sie ihre Häuser bis Weihnachten dichtmachten. Auch die Amis. Und hier findet sich Restaurant-Manager Paul Rudolph, Von-Steuben-Hotel. Im Von Steuben ist aber Paul Rudolph nicht mehr eingestellt worden. In keinem Hotel der Amerikaner. Nicht 1960 und auch später nicht. Aber …« Albert Frey zog ein weiteres Blatt mit einer Namensliste hervor. »Sehen Sie die Neueinstellungen vom 15. 12. 1960. Detlev Gürtler, House Keeper, Green Arrow Hotel. Am 15.12. haben die Hotels den Betrieb wieder aufgenommen.«
»Aber das beweist doch nichts«, war Martin Bruckmayer überzeugt.
»Moment, ich bin noch nicht fertig. Ich habe nach einem Detlev Gürtler in den Telefonverzeichnissen gesucht. Nichts. Aber das muss heutzutage ja nichts mehr heißen, viele Menschen lassen sich dort gar nicht eintragen. Also musste ich weiterforschen. Es gibt eine kleine Abteilung mit AFRC-Archivalien im Marktarchiv.«
Albert Frey zog die Kopie eines Artikels aus dem Garmisch-Partenkirchner Tagblatt hervor. Auf dem grobkörnigen Schwarzweißbild war eine Truppe von mehreren Hundert Personen zu sehen, die auf einem Parkplatz Aufstellung genommen hatte. Das Foto war offensichtlich von einem ziemlich hohen Haus oder einem Kranwagen aufgenommen worden.
»1966«, sagte Albert Frey. »Zwanzigstes Jubiläum des Armed Forces Recreation Centers in Garmisch. Ich darf die Bildunterschrift vorlesen: ›Die 345 Angestellten des AFRC unterzeichneten 20 Wimpel, die den offiziellen Vertretern der Gemeinde und des Landkreises Garmisch-Partenkirchen und der amerikanischen Armee überreicht wurden.‹«
Albert Frey ließ einen der weißen Plastikdeckel des Papprohrs aufploppen. Er nestelte ein Stück Stoff heraus und rollte es auf dem Tisch aus.
»Da. Der Wimpel, der 1966 dem Bürgermeister überreicht wurde«, sagte er. »Bitte schauen Sie genau hin. Dieses Autogramm dort oben ist von Paul Rudolph. Sechs Jahre nach dem ominösen Wohnungs- und Jobtausch. Warum er dort seinen richtigen Namen hingeschrieben hat, weiß ich nicht. Vielleicht einfach nur Leichtsinn. Jedenfalls habe ich damit den Leiter des Einwohnermeldeamts konfrontiert und ihn aufgefordert, eine Abfrage nach Detlev Gürtler zu machen. Der Mann ist neu und glaubt an Vorschriften. Na ja, eine halbe Stunde später hat er mir bestätigt: Detlev Gürtler wohnt in der Höllentalstraße 82. Nur eben nicht als Detlev Gürtler. Hat 1972 geheiratet und den Namen seiner Frau angenommen. Detlev Beck.«
»Hat nicht auch Lazlo Balta alias Ferenc Tetoko alias Franz Blechschmied 1972 geheiratet und den Namen seiner Frau angenommen?«
»Sehr gutes Gedächtnis, gnädige Frau. Die beiden haben ja auch zusammen etwas ausgefressen. Sie werden sich über die jeweiligen Schritte des anderen informiert haben, um zu erfahren, wie der alte Komplize seine Tarnung aufrechterhält oder erneuert.«
»Das ist alles sehr dünn, Herr Frey, das muss ich schon sagen«, meinte Martin Bruckmayer.
»Ich würde eher sagen, ein bisschen viele Zufälle, Herr Bruckmayer.«
»Und was machen wir nun?«, wollte Martin Bruckmayer wissen. »Damit können Sie doch nicht zur Polizei gehen.«
»Warum denn nicht? Zusammen mit der Akte von Frau Saunders reicht das für ein paar unangenehme Fragen, da bin ich mir sicher.«
»Lassen Sie mich zuerst mit diesem Detlev Beck und diesem Franz Blechschmied reden, Herr Frey«, bat Frau Saunders.
»Gnädige Frau, ich bewundere Ihre Einsatzbereitschaft und Ihren Mut. Aber wenn ich mich nicht täusche, haben wir es hier mit Mördern zu tun.«
»Mörder waren sie vor sechzig Jahren. Ich glaube nicht, dass sie mich einfach so …«
»Ich gehe auf alle Fälle mit, Jo«, unterbrach sie Martin Bruckmayer.
»Gut«, sagte Jo Saunders und setzte bestimmend hinzu: »Morgen suche ich als Erstes diesen Blechschmied oder besser: Balta auf.«
»Bist narrisch? Da kannst du doch jetzt noch keine Pressekonferenz machen. Das
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