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Herrgottschrofen

Herrgottschrofen

Titel: Herrgottschrofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Ritter
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Plakate, Zeitungsbeilagen … Das stemmen Sie doch nicht.«
    »Stimmt«, grummelte Sepp Eichwalder, »zu euch rennen die Billig-Touris, wenn sie Billig-Batschn brauchen. Der Garmisch-Partenkirchner, der auf sich hält, kauft im traditionellen familiär geführten Einzelhandel.«
    »Wenn Sie sich da mal nicht täuschen«, gab der Schuhriesen-Chef zurück. »Unsere Kredit- und Rabattkartenauswertungen sagen etwas ganz anderes.«
    »Meine Herren, so kommen wir doch nicht weiter. Die Einzelhändler an diesem unseren wunderschönen Ort müssen zusammenhalten. Der Kleine profitiert vom Großen und der Große vom Kleinen. Das zarte Wirtschaftswachstum in unserem Landl, das unter meiner Ägide gediehen ist – wenn ich das in aller Bescheidenheit an dieser Stelle einmal einwerfen darf –, das darf nicht – wenn wir schon vom Dürfen reden –, im Keim darf es nicht erstickt werden dürfen … Äh, ich meine … Also, was ich sagen will: Selbstverständlich klären wir die Todesfälle baldmöglichst auf. Oder, Ludwig?«
    Ludwig Bernbacher hatte der Rede seines Bürgermeisters nicht gelauscht, da er die meisten seiner Gemeinplätze aus zig Wiederholungen kannte. Außerdem war er ins Studium des Dirndlausschnitts der feschen Bedienung vertieft gewesen, die der neue Wirt mitgebracht hatte. Sie stellte gerade einen Krug Alkoholfreies vor ihm ab. »Äh, ja. Sicherlich. Auf… äh … klären. Logisch«, sagte er, nachdem er sich gedanklich wieder in die Runde eingegliedert hatte.
    »Wo wir gerade beim Wirtschaftswachstum sind, Herr Bürgermeister«, mischte sich der Lebensmittel-Repräsentant ein. »Die Streckenführung der neuen Tunnel steht aber jetzt bombenfest, oder? Wenn ich meiner Zentrale falsche Angaben gemacht hab, was die idealen neuen Standorte an den Tunnelausfahrten anbelangt, dann kann ich mich gleich bei Ihnen im Bauhof als Straßenkehrer bewerben. Und Sie wissen ja, was das bedeutet.«
    Der Bürgermeister war so offene Worte an seinem Stammtisch nicht gewohnt. Er flüchtete in die Nach-vorn-Verteidigung. »Ich weiß schon, wenn Ihre Zentralen diesen wunderschönen Ort wieder aufgeben, dann fließt wesentlich weniger Gewerbesteuer. Allerdings doch nur für kurze Zeit, denn wenn Sie irgendwo rausgehen, geht der Konkurrent sofort rein. Jetzt malen Sie hier also den Teufel mal nicht an die Wand. Dies ist ein prosperierender Ort. Ob mit oder ohne Olympische Winterspiele, wir haben immer noch eine Million Übernachtungen pro Jahr.«
    »Tendenz fallend«, nörgelte sogar der einheimische Sparkassen-Chef. Er würde nie auf einen Posten in der Landesbank befördert werden, wenn er die Bilanz seiner Bank nicht endlich dramatisch nach oben schraubte. Zwar gehörten seinem Institut und den Kollegen der Raiffeisen- sowie der Hypobank bereits die meisten alteingesessenen Hotels auf dem Papier, doch was nutzte das? Die Schuppen wollte ja keiner kaufen. Es musste also weitergehen in Garmisch-Partenkirchen, immer weiter. Neue Besucher und neue Bürger brauchte das Werdenfelser Land.
    Auch der Bagger-Toni konnte sich nicht mehr zurückhalten. Zwar hatte er am Wochenende mit dem Ministerpräsidenten und dem Baron striktes Stillschweigen vereinbart, aber er wollte die Großkopferten am Tisch dennoch wissen lassen, dass er, der sich aus kleinen Verhältnissen nach oben geackert hatte, den Schlüssel für die Zukunft Garmisch-Partenkirchens in Händen hielt. Er hatte sich als Hausherr im Bräustüberl an die Stirnseite des Tisches gesetzt, von wo aus er auch den Laden und die Küche im Blick hatte. Damit saß er dem Bürgermeister, der die andere Stirnseite besetzte, frontal gegenüber. Toni Brechtl lehnte sich gemütlich zurück. Wie ein zufrieden lächelnder Buddha saß er da. Ein Buddha in kariertem Trachtenhemd und Lodenhose. »Vielleicht kommt ja auch alles ganz anders«, orakelte er.
    »Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt«, warf der Pfarrer in die Runde. In Ermangelung selbst gezogenen katholischen Nachwuchses hatte das erzbischöfliche Ordinariat vor einem halben Jahr einen ausländischen Seelsorger in die Gemeinde gesandt. Hochwürden Chukwuma Ogolama stammte aus Nigeria.
    »Wie wahr, Herr Pfarrer«, pflichtete der Bagger-Toni bei. »Gott weiß alles, gell?«
    »Woher wissen Sie, was mein Vorname bedeutet, Herr Brechtl?«, freute sich der in Garmisch nur nach und nach Akzeptanz verspürende Geistliche. Er war das erste Mal beim Bürgermeisterstammtisch dabei. Und auch nur deshalb, weil die anderen es für

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