Herrgottschrofen
nicht so gut. Die Amerikaner hatten ja ihr eigenes Bier. Die haben alles, wirklich alles aus den Staaten importiert. Und die großen Münchner Brauereien sind nach dem Krieg sofort aufs Land und haben Wirtshäuser aufgekauft, die pleite waren oder wo der Wirt gefallen war oder in Gefangenschaft und die Söhne ja oft auch. Da haben die den alteingesessenen Familien für ein Butterbrot die schönsten Häuser abgekauft, um sie ihnen hernach als Konzessionsbetriebe wieder zu verpachten. Natürlich mit dem Münchner Bier und nicht mehr mit unserem. Selbstverständlich haben die auch viel billiger produzieren können als wir. In Garmisch gab es ja nie Getreideanbau. Jedes Gerstenkorn musste mein Vater teuer aus Nordbayern beziehen. Und die Preise haben die Münchner Großbetriebe den Händlern diktiert. Wir haben nur das bekommen, was die nicht verbraucht haben. Und das zu Mondpreisen. Die Brauerei ist nie mehr auf die Füße gekommen. 1970 hat mein Vater verkauft. Zu der Zeit war ich sein Vertriebsleiter. Und die Tigerbräu aus München, die uns aufgekauft hat, die wurde dann von der Megabrew aus Amsterdam gekauft. Und was haben die gemacht? Haben die Garmischer Braustätte zugesperrt und ein Leergutlager draus gemacht. Das war das Ende von Bier made in Garmisch-Partenkirchen.«
»Traurig.« Albert Frey schaute in sein Bierglas, in dem also holländisches Weißbier aus München dümpelte.
»Da können Sie Bücher drüber schreiben, wie die Braukunst in Bayern vom Geld zugrunde gerichtet wurde. Ist alles nur noch Fassade. Mitsamt dem Oktoberfest und dem ganzen Brimborium. Kommt alles aus der Großbrauerei. Und die meisten von denen sind gar nicht mehr in München. Die Immobilien rentieren sich mehr, wenn man Luxuswohnungen und Büros drauf baut. Schauen Sie sich mal am Stiglmaierplatz um. Da war mal die Tigerbräu, die dieses Gesöff hier verbricht. Heute – feinste Adresse für Anwälte und Unternehmensberater. Sie werden sehen, das passiert als Nächstes auch in Untergiesing, wenn die Dominikanerbrauerei raus an irgendeinen Autobahnzubringer zieht.«
Der alte Herr hatte sich richtig in Rage geredet, nun beruhigte er sich. »Aber das wollen Sie ja gar nicht wissen.«
»Doch, will ich schon. Sehr gern, Herr Bruckmayer. Aber heute interessiert die Casa Carioca.«
»Was wollen Sie denn genau wissen? Sie können sich ja vorstellen, wie’s da zugegangen ist. Die Amis haben da in Saus und Braus gelebt und alles auffahren lassen. Mein Gott, wenn ich dran denk. In den Hungerwintern ’46/47 und ’47/48, da haben die da ein Disneyworld veranstaltet. Solche riesigen Truthähne wie an Thanksgiving hab ich noch nie gesehen. Später auch selten. Und ich bin viel rumgekommen. Und Schampus und Whiskey ist geflossen in Strömen. Und Hummer hatten die. Wir fanden’s großartig, können Sie sich ja denken.«
»Wir? Sind das die Josepha Stiller und Sie?«
Martin Bruckmayers Miene verfinsterte sich. »Die Josepha. Jo müssens zu der jetzt sagen. Jo Saunders. Hat ja den Chef von den Amis damals geheiratet. Ja, wir waren unzertrennlich. Unsere ganze Jugend über …« Der alte Mann starrte hoch an die Decke, als könnte er zwischen den bäuerlichen Szenen des Lüftlmalers Heinrich Bickel, die das Bräustüberl zierten, einen Film ablaufen sehen. »Und dann war sie weg, die Josepha. Hab sie nie mehr wiedergesehen.«
»Sie lebt aber noch?«, wollte sich Frey überzeugen.
»Ich denke schon. Ihr Mann, der Thomas Saunders, ist wohl im letzten Jahr gestorben. Aber der war ja auch zehn Jahre älter. Muss über neunzig geworden sein.«
»Sie haben wohl keine Adresse oder andere Daten?«
»Hab ich schon. Sie schreibt mir jedes Jahr zu Weihnachten. Seit fünfzig Jahren. Ist ja eine angelsächsische Erfindung, diese Weihnachtskartenschreiberei. Ich hab die Karten von der Jo aufgehoben. Sie können Sie gern anschauen. Ihre Adresse steht drauf. Die erwarten ja auch immer eine Karte retour. Hab ich aber nie gemacht.«
»Das ist ja großartig, Herr Bruckmayer. Da wir gerade dabei sind: Die Franziska Stiller, die kannten Sie doch auch.«
»Natürlich kannte ich die. Die ist noch vor der Josepha weg. Wohin, weiß keiner. – Oha, da fällt mir ein, um zwölf muss ich heut beim Herrn Brechtl sein. Der weiht einen neuen Brunnen in seinem Garten ein. Beziehungsweise der neue Pfarrer von Garmisch weiht den Brunnen. Dem Herrn Brechtl gehört das hier ja, das Bräustüberl, das wissen Sie, oder? Hat es von der Brauerei gekauft. Ist sozusagen mein
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