Herrgottschrofen
entgeistert. »Nichts. Rein gar nichts!«
»Genau. Nix seh ma da. Überhaupt nix. Und auf der anderen Seite auch nix.«
»Wo ist das Problem, gnäd’ge Frau?«
»Umweltzone, der Herr. Sie sind in München. Da brauchen Sie eine Plakette.«
Frey schloss die Augen. Natürlich. Wie konnte er nur so vergesslich sein. Die Feinstaubplakette. Er zählte im Kopf langsam bis zehn und bemühte sich, dabei tief durchzuatmen. Nur so gelang es dem Exoberstudienrat, nicht auf die Evolutionsstufe eines Neandertalers zurückzufallen.
»Na gut«, sagte er. »Tun Sie, was Sie tun müssen. Ich beuge mich dem Gewaltmonopol des Staates.«
Dann ging er schnurstracks auf die andere Straßenseite und betrat zum ersten Mal in seinem Leben Deutschlands bekannteste Bar.
Er ging in den Nebenraum, durch den man in den eigentlichen Gastraum gelangte. Obwohl die Tische mit den roten Reserviert-Schildern an diesem frühen Mittwochabend noch längst nicht gefüllt waren, flitzten die mit weißen Barjacken und langen weißen Schürzen bekleideten Angestellten um ihn herum, ohne ihn dabei weiter zu beachten. Er sah sich vorsichtig um und erblickte linker Hand ein dickes Reservierungsbuch. Wenn er sich dort postierte, musste irgendwann einer der Barmänner auf ihn aufmerksam werden.
In der Tat musste er nur gut fünf Minuten dort stehen, bis ihm die Ehre zuteil wurde, von einem der Kellner auf seinen Wunsch angesprochen zu werden.
»Ich suche Herrn Weißhaupt.«
»Noch nicht da«, lautete die knappe Antwort.
»Und wenn er da wäre, wo würde er denn sitzen?«
»Dort hinten.« Der junge Mann, auf dessen Brusttasche der Name »Michael« aufgestickt war, deutete quer durch den Raum, ohne einen bestimmten Tisch genau zu bezeichnen.
»Wir sind verabredet. Vielleicht darf ich an seinem Tisch auf ihn warten?«
Michael musterte den Mann in kariertem Hemd und beigefarbener Wollweste, in der Fjällräven-Hose und den Mephisto-Schuhen. Kurt Weißhaupt hatte sich in den vergangenen dreißig Jahren im Schumann’s mit Opernstars, Fußballgrößen und jeder Menge Leuten in Nadelstreifen getroffen. Nun ersuchte offensichtlich ein verrenteter Beamter darum, zu ihm vorgelassen zu werden. Michaels professioneller Instinkt ließ nur zwei Schlüsse zu: Entweder handelte es sich um einen penetranten Leserbriefschreiber, der sich persönlich bei Weißhaupt über die Süddeutsche beschweren wollte. Oder der Mann hatte wirklich einen Termin.
Michael entschied sich für die zweite Lösung und führte den Mann an den hintersten Tisch links neben der Bar. »Was darf ich bringen?«
»Ein Weißbier, bitte.«
»Wir haben nur Pils, der Herr.«
Bürgermeister Hans Wilhelm Meier hatte in den vergangenen Nächten schlecht geträumt. Sehr schlecht.
Zuerst hatte er in einem Albtraum die absolute Mehrheit verloren. Das war in der Nacht von Montag auf Dienstag gewesen.
In der folgenden Nacht hatte er von einem Erdrutschsieg der Grünen geträumt. Gerade noch hatte er durch eine Koalition mit den Freien Wählern und den Feuerwehrlern, den Trachtlern und den Skiclubs seine Mehrheit retten können. Wobei er sich keinen Reim darauf machen konnte, warum diese Organisationen in seinem Traum auf einmal eigenständige politische Gruppierungen gewesen waren, da sie doch eigentlich alle zu den Stützen seiner Partei zählten.
In der Nacht auf Donnerstag hatte er dann geträumt, dass die Splittergruppen im Garmisch-Partenkirchner Gemeinderat immer mehr wurden. Und dass sie alle das gleiche Programm vertraten: »Weg mit Meier« stand auf den Plakaten. Dann schmiss ihn der Ministerpräsident persönlich aus der Partei. Per SMS. Und dann wurde er mit Schimpf und Schande aus dem Tal gejagt. Ohne Dienst-Audi. Mit dem Zug musste er das Werdenfelser Land verlassen.
Er hatte keine Ahnung, wohin der Zug eigentlich fuhr. Er spürte nur, dass die Gleise nach unten führten und der Zug bergab rollte. Immer steiler. Immer schneller. Dass er in den Abgrund gerissen wurde. Dass er sich im freien Fall befand. Als er aufkam, war der Zug verschwunden. Bürgermeister Meier lag im Schlafanzug und mit einem Lodenmantel bekleidet auf dem Boden eines riesigen Abwasserkanals. Nur dass darin kein Wasser floss. Es war zu spiegelglattem Eis gefroren.
Er versuchte auf dem Eis aufzustehen, wobei er zweimal gestreckter Längs auf dem Bauch landete. Als er endlich stand, versuchte er, in Richtung des kleinen Lichts am Ende des Tunnels zu laufen, rutschte aber immer wieder aus und fiel. Das Licht wurde und
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