Herrgottschrofen
er fand. Wenn nun auch noch Olympia kam, würden sie ihm ein Denkmal setzen.
Doch dann kam der Plan vom Ministerpräsidenten, dem Baron von Storck und Co. Das warf alles über den Haufen. An Olympia dachten die gar nicht mehr, hatte der Brechtl Toni ihm am Montag am Herrgottschrofen eröffnet. Genau an dem Platz, an dem sich die Zukunft des Ortes entscheiden würde, genau dort hatte der Brechtl ihn hinbestellt, wie er ihm gesagt hatte. Nicht im südafrikanischen Durban, wo im Juli die Vergabe der Winterspiele 2018 stattfinden sollte. Nein, am Südportal des geplanten Kramertunnels. Wobei, hatte der Brechtl gesagt, es den Tunnel ebenso wenig geben würde wie Olympische Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen. Niemals nicht würde sich der Verkehr zweispurig durch den Kramer schlängeln. Zumindest nicht in der Lebenszeit, die ihnen beiden noch bliebe. Denn ohne Olympia kein Tunnelbau. Weder hier im Kramer noch im Wank oder eine Ortschaft weiter nördlich in Oberau. Das könne er, der Bürgermeister, sich abschminken, hatte ihm der Brechtl mitgeteilt.
Worauf es aber ankomme, sei der Erkundungsstollen. Der werde gebaut, und das sei so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Mittel seien in Berlin und in München bereits bewilligt und somit so gut wie ausgegeben. Während er dies sagte, hatte sich der Bagger-Toni die Hände gerieben, womit klar war, dass ein Gutteil dieses Geldes in seinen Taschen landen würde. Denn er führte ja die Erdarbeiten durch. Jedenfalls würde der Erkundungsstollen, so der Brechtl, fertiggestellt werden, und er würde die längste Tunnelröhre auf bayerischem Gebiet sein. Und eine der sichersten. Denn, so der Bagger-Toni, der Bau des Erkundungstunnels sei so etwas von schwierig – lockeres Gestein im Karstgebirge, wasserführende Schichten, mehr müsse er einem Ortskundigen ja nicht sagen –, dass die fertig ausbetonierte und stahlarmierte Röhre so bombenfest und stabil werden würde, dass man da ganz neue Optionen hätte. Auch wenn man dann keinen echten Autotunnel vierzig Meter weiter entfernt graben würde.
Ganz neue Optionen … Das war das Stichwort gewesen, bei dem Hans W. Meier gezuckt hatte. Doch der Brechtl genoss es, den allmächtigen Bürgermeister schmoren zu lassen. Nur so viel dürfe er verraten: Der Erkundungsstollen mit seinen knapp vier Kilometern Länge, einer lichten Höhe von sieben Metern und einer Breite von zehn Metern war in den Augen von – wie der Brechtl meinte – »über unser Wohl und Wehe entscheidenden Männern« ein idealer Ort, um Sachen sicher zu lagern, die man nicht irgendwo herumstehen lassen konnte.
»Stell dir vor, zweihundertachtzigtausend Kubikmeter atombombensicherer Lagerraum! Was würdest du denn da reintun?«, hatte der Brechtl seine Ausführungen geschlossen. Und den Meier weitergrübeln lassen. »Ich sag nur eins: top secret! Und noch ein Stichwort: Zwischenlager«, hatte der Brechtl mit einem Augenzwinkern geflüstert.
Dann hatte er sich auf den Fahrersitz seines Mercedes-Jeeps gewuchtet und war mit Vollgas quer über die für den Besuch des Ministerpräsidenten planierte Fläche geprescht, dass der vom übermotorisierten Allradler aufgewühlte Kies in hohen Fontänen himmelwärts gespritzt war.
Nun saß der Bürgermeister vor seinem Laptop und durchwühlte Google und Wikipedia nach Substanzen, die der unterirdischen Lagerung bedurften. Es gab schlichtweg zu viele davon, um sich auf eine wahrscheinliche festzulegen.
Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie sehr bald Lastwagen mit großen Fässern anrollen würden, um ihre giftige oder zumindest gefährliche Ladung im Kramertunnel zu deponieren. Eigentlich, so wurde ihm nach zwei Stunden unergiebigen Internetsurfens klar, war es auch vollkommen wurscht, was dort entsorgt würde. Seine Tage als Bürgermeister Garmisch-Partenkirchens waren gezählt, wenn dieses Szenario Wirklichkeit wurde. Die Bürger würden ihn abwählen und davonjagen. Wie in seinem Traum, der ihn vor ein paar Stunden aus dem Bett getrieben hatte. Wenn er allerdings gegen die Nutzung des Kramerstollens aufbegehrte, würde ihm der Ministerpräsident den Hahn zudrehen.
Bürgermeister Meier befand sich in einer veritablen Zwickmühle. Egal, wohin er zog, er konnte nur verlieren.
Da fiel ihm ein weiteres Bruchstück der an ihn vergeudeten humanistischen Bildung wieder ein: »Zu Dionys, dem Tyrannen schlich Damon, den Dolch im Gewande …« Was, wenn nicht er der Cäsar wäre? Wenn der Ministerpräsident einem Tyrannenmord
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