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Herrgottschrofen

Herrgottschrofen

Titel: Herrgottschrofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Ritter
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aufzuzeichnen?«
    »Of course, lieber Herr Frey. Aber ich dachte, morgen müssten Sie nach München ins Staatsarchiv. Aber vielleicht sind Sie ja am Nachmittag wieder da. Ich bin morgen mit Herrn Gruber zum Lunch verabredet. Vielleicht holen Sie mich dort ab, dann nehme ich mir ein paar Stunden Zeit für Sie. Wo treffen wir den Herrn Gruber, lieber Martin?«
    »Im Panorama um eins. Er will uns seine Pläne zeigen. Und dann darfst du um vier zum Herrn Bürgermeister ins Rathaus, dich ins Goldene Buch eintragen.«
    »Well, Herr Frey, warum treffen wir uns nicht um drei Uhr, three p. m., im Panorama?«, schlug Jo Saunders vor. »Dann können Sie sich die Pläne auch noch ansehen. Interessiert Sie doch sicher als Historiker, wenn die Zukunft besprochen wird.«
    »Sehr gute Idee, Jo«, pflichtete Martin Bruckmayer bei. »Und jetzt entschuldigst du uns vielleicht für eine Viertelstunde. Ich möchte Herrn Frey auch noch ein bisserl Geschichte zeigen. Nämlich meinen Bierkeller und unser Familienarchiv.«
    Der Leseraum der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim war nicht gerade das, was man unter einer kuscheligen Bücherecke verstand. Wie überall in diesem und sicher auch in anderen Gefängnissen waren die obersten Ziele der Architekten nüchterne Sachlichkeit und die Eignung des Raumes zu dessen schneller und unkomplizierter Pflege gewesen. Anders als bei Gemeinschaftseinrichtungen, die freien Menschen dienten, bestand die Aufgabe des Inneneinrichters bei einem Gefängnis natürlich auch darin, alle beweglichen Gegenstände möglichst fest mit den unbeweglichen Teilen des Gebäudes zu  verbinden. Oberste Einrichtungsprämisse war es, Suizid-, Mord- und Verletzungsrisiko so klein wie möglich zu halten. Darum waren Tische und Stühle fest mit dem Boden verschraubt.
    Hartinger fragte sich, wieso man nicht auch die Bücher durch Ketten mit den Regalen verbunden hatte. Mit Teil drei der Brockhaus-Enzyklopädie »AUSW – BHAR« hätte man leicht einem Bewacher oder Mithäftling den Kopf in den Rumpf treiben können.
    Der Band lag aufgeschlagen vor ihm, doch nach Krawall war Hartinger nicht zumute. Er schmökerte sich quer durch Badorfer Keramik , Barsortiment und Beweisaufnahme. Wieder und wieder fiel ihm beim Querlesen des Lexikons auf, was er alles nicht wusste. Und wie gut es tat, sich von seinem Nichtwissen überraschen zu lassen. Die schnelle Suche nach Erklärungen für Unbekanntes in Google und Wikipedia, die er sich angewöhnt hatte, hatte doch so etwas ungemein Zielstrebiges. Wie gut es tat, die Augen und das Gehirn wieder mal quer durch die Ansammlung von unnützem Wissen mäandern zu lassen. Einfach zu staunen, welche unglaublichen Dinge sich auftaten, sobald man eine Seite umschlug.
    Vielleicht, so dachte er nach einer Weile, würde ihm eine gewisse Zeit im Gefängnis sogar helfen, zu sich und zur Ruhe zu finden. Da war sie wieder, die alte Papillon-Sehnsucht. Doch im nächsten Moment war sie auch schon wieder verflogen, davongeflattert wie ein Schmetterling. Denn eine gewisse Zeit würde in seinem Fall eine sehr lange werden. Er wollte nicht in zwanzig Jahren als alter Mann aus diesem Bau herauskommen.
    Er wäre dann so alt wie der Häftling, der einen Tisch weiter ihm gegenübersaß und der einen enormen Bücherberg rechts und links neben sich aufgetürmt hatte. Der war mindestens sechzig. Ob der jemals wieder als freier Mann die Luft des Münchner Frühlings schnuppern würde? Er schien sich mit der Situation sehr gut arrangiert zu haben. Offenbar hatte er ein Spezialgebiet gefunden, das ihn sehr interessierte. Überall aus den Büchern hingen gelbe Post-its und andere Einmerker, und tief in sich versunken, schrieb er in eine telefonbuchstarke Kladde.
    Eigentlich, dachte Hartinger, war es ja auch vollkommen egal, ob so jemand hier saß oder zu Hause oder in einem Büro. Sofern seine Bücherwünsche erfüllt wurden – und es sah bei diesem Mann so aus, als sei dies der Fall –, konnte er hier sicherlich ungestörter arbeiten als so manch anderer in einem Unternehmen, wo ein unnützes Meeting das andere jagte, oder in einem Homeoffice, wo ihm Katzen, Hunde und Kinder zwischen den Beinen herumwuselten und die Konzentration störten.
    Um vier Uhr würde die Lesezeit, die man Hartinger zugestanden hatte, vorüber sein. Bevor der Beamte kam, um ihn wieder in die Zelle zu bringen, wollte er den Mann mit dem Bücherberg ansprechen. Denn der war ihm bereits bei den Gemeinschaftsmahlzeiten aufgefallen. Er schien

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