Herrin der Falken - 3
rauhen Umarmung von ihr verabschiedet hätte. Jetzt hatte sie nur noch den leidenschaftlichen Wunsch, Orain nie wiederzusehen.
Sehr früh am Morgen verließen sie Caer Donn und waren schon eine gute Stunde unterwegs, als die rote Sonne aufging, riesig und vor Nebel tropfend. Caryl ritt auf dem Pony, das Janni ihm besorgt hatte, Seite an Seite mit Romillys Pferd. Hinter ihnen kamen sechs Frauen der Schwesternschaft, die an langen Packzügeln ein Dutzend guter Pferde führten. Sie seien für die Armee im Süden bestimmt, sagten sie, aber nicht, für welche Armee. Vorsichtshalber stellte Romilly keine Fragen.
Es war herrlich, wieder frei im Sonnenschein zu reiten. Vorbei waren die Kälte und die Schneestürme des vorigen Ritts durch die Hellers. Mittags hielten sie an, um die Pferde zu füttern und eine Weile ausruhen zu lassen. Dann ging es weiter. Am späten Nachmittag schlugen sie das Lager auf. Janni befahl, eins der Packpferde abzuladen. Zwei Frauen machten Feuer, und Janni rief Romilly zu sich.
»Komm und hilf mir mit dem Zelt, Romy.«
Romilly hatte keine Ahnung, wie man ein Zelt aufstellt, aber sie zog gehorsam Seile an und trieb da, wo Janni es wollte, Heringe in den Boden. Eine oder zwei Minuten später stand ein großes, geräumiges Zelt aus wasserdichten Planen für sie bereit. Drinnen wurden Deckenrollen ausgebreitet, und unter der überhängenden Klappe waren ihr Feuer und ihr Essen vor dem abendlichen Nieseln sicher. Sehr schnell war Brei gekocht, heiß und lecker mit im Fett eines Brathuhns geschmorten Zwiebelringen. Die Frauen saßen mit untergeschlagenen Beinen auf ihren Bettrollen und aßen aus hölzernen Näpfen, die dem gleichen Pack entstammten.
»Das ist fein«, meinte Caryl bewundernd. »Männer machen ein Lager nie so gemütlich.«
Janni lachte vor sich hin. »Es gibt keinen Grund, warum sie es nicht tun sollten. Im Kochen und Jagen sind sie ebensogut wie wir Frauen, und das würden sie dir auch sagen, wenn du sie fragtest. Aber vielleicht finden sie es unmännlich, im Feld Bequemlichkeit zu suchen, und sie genießen das harte Leben, weil es ihnen das Gefühl gibt, stark und zäh zu sein. Ich persönlich habe keine Vorliebe dafür, im Regen zu schlafen, und ich schäme mich nicht, zu gestehen, daß ich Bequemlichkeit liebe.«
»Ich auch.« Caryl nagte einen Knochen ab. »Das schmeckt gut, Janni. Danke.«
Eine der Frauen namens Lauria, die Romilly nicht besonders gut kannte, holte eine kleine Handharfe aus ihrem Gepäck und begann zu spielen. Etwa eine halbe Stunde lang saßen sie um das Feuer und sangen Volkslieder aus den Bergen. Caryl hörte mit glänzenden Augen zu, aber nach einer Weile lehnte er sich schläfrig zurück.
Janni winkte Romilly. »Willst du ihm die Stiefel ausziehen und ihn in seinen Schlafsack stecken?«
»Natürlich.« Romilly begann, an Caryls Stiefeln zu ziehen. Er setzte sich auf und protestierte verschlafen. Lauria brummte: »Laß den Jungen sich selbst bedienen, Romy! Janni, warum soll eine unserer Schwestern diesem jungen Mann aufwarten, der unser Gefangener ist? Wir sind nicht die Untertanen oder Diener der Hastur-Sippe!«
»Er ist noch ein Kind«, antwortete Janni begütigend, »und wir werden gut bezahlt, für ihn zu sorgen.«
»Trotzdem sind wir von der Schwesternschaft nicht die Sklavinnen von Männern«, schimpfte Lauria. »Ich muß mich über dich wundern, Janni, daß du für Geld den Auftrag übernimmst, einen Jungen durch die Berge zu eskortieren.«
»Ob Junge oder Mädchen, das Kind kann nicht allein reisen«, gab Janni zurück, »und braucht nicht in die Kämpfe der Erwachsenen hineingezogen zu werden! Und Romilly sorgt gern für ihn.«
»Daran zweifele ich nicht«, höhnte eine der fremden Frauen. »Das ist eine von denen, die es immer noch für ihre Lebensaufgabe halten, einen Mann zu bedienen – sie macht ihrem Ohrring Schande!«
»Ich sorge für ihn, weil er müde ist, zu müde, um sich selbst zu helfen!« entgegnete Romilly heftig. »Und weil er ungefähr im gleichen Alter mit meinem eigenen kleinen Bruder ist! Hast du dich nie um deinen kleinen Bruder gekümmert, falls du einen hattest, oder hältst du dich für zu gut, um nach jemand anderem als dir selbst zu sehen? Wenn der heilige Lastenträger das Weltkind auf seinen Schultern über den Fluß des Lebens trug, soll ich dann nicht für jedes Kind sorgen, das mir in die Hände kommt?«
»Oh, eine Cristofero«, spottete eine der jüngeren Frauen. »Sagst du jeden Abend vor dem Schlafengehen das
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