Herrin der Falken - 3
Rakhals, und ob Rakhal oder Carolin diesen Krieg gewann, Lyondri Hastur kam nicht auf den Thron. Oder würde er an Rakhal ebenso wie an Carolin zum Verräter werden, getrieben von dem Ehrgeiz, eine Dynastie seines eigenen Blutes zu gründen?
»Romilly… Romy! Bist du im Reiten eingeschlafen?« Caryls fröhliche Stimme riß sie aus ihren Gedanken. »Darf ich versuchen, ob Preciosa für mich fliegt? Wir sollten ein paar Vögel zum Abendessen haben, nicht wahr?«
Romilly lächelte den Jungen an.
»Wenn sie für dich fliegt, sollst du sie auflassen«, stimmte sie zu. »Nur kann ich nicht versprechen, daß sie für irgendwen außer mir fliegt. Du mußt jedoch Dame Jandria fragen, ob wir Vögel zum Abendessen brauchen. Sie, nicht ich, führt diese Gruppe.«
»Verzeihung«, sagte Caryl der Form halber, aber ohne Reue. »Es ist schwer, nicht zu vergessen, daß sie eine Edelfrau ist, und ich denke nicht von selbst daran, sie um Erlaubnis zu fragen. Bin ich dagegen mit dir zusammen, ist mir immer bewußt, daß du eine von der Hastur-Sippe bist.«
»Das bin ich nicht«, wehrte Romilly ab, »und Janni ist Lord Orains Cousine, falls du das noch nicht wußtest. Deshalb ist ihr Blut so gut wie meines.«
Plötzlich wirkte Caryl verängstigt. »Ich wollte, das hättest du mir nicht gesagt!« stieß er hervor. »Denn damit gehört sie zu den schlimmsten Feinden meines Vaters, und ich möchte nicht, daß er sie haßt.« Romilly verwünschte sich. Schnell erklärte sie: »Der Rang hat in der Schwesternschaft keine Bedeutung, und Jandria hat auf die Privilegien ihrer edlen Geburt verzichtet. Das habe ich übrigens auch getan, Caryl.« Ihr fiel auf, daß er erleichtert dreinblickte, war sich jedoch nicht ganz klar, warum.
»Ich werde Jandria fragen, ob wir Wild für den Kochtopf brauchen«, schlug sie vor, »und du sollst Preciosa auflassen, wenn sie auf deinen Befehl fliegt. Sicher hat Jandria nichts dagegen, wenn du einen Vogel für dein eigenes Abendessen erbeuten willst, solange du nicht eine von uns drankriegst, ihn für dich zu rupfen und zu braten.«
»Das kann ich allein«, behauptete Caryl stolz. Dann grinste er und senkte den Blick. »Wenn du es mir zeigst«, setzte er kleinlaut hinzu. Romilly kicherte, und Caryl stimmte mit ein. »Ich will dir helfen, den Vogel zu braten, wenn ich etwas abbekomme. Abgemacht?«
Am dritten Abend danach ritten sie am Ufer eines Sees entlang, der sich zwischen die Hügel schmiegte. Caryl wies auf ein großes Haus, nicht ganz ein Schloß, am Ende des langen Tals.
»Da liegt Hali und dort meines Vaters Burg.«
Romilly fand sie einem Palast ähnlicher als einer Festung, aber sie sprach es nicht aus. Caryl sagte: »Ich freue mich so darauf, meinen Vater und meine Mutter wiederzusehen.« Bestimmt freute sein Vater sich nicht darüber, daß sein Sohn von den Männern seines erbittertsten Feindes als Geisel genommen und der Sicherheit Nevarsins entrissen worden war. Aber auch darüber schwieg Romilly. Erst heute morgen hatte sie durch Preciosas Augen gesehen, daß sich auf der weiten Ebene von Valeron Armeen zusammenzogen und gegen die Grenzen vorrückten. Bald schon würde der Krieg das grüne Tiefland von neuem überziehen.
Den ganzen Tag ritten sie durch ein verheertes Land. Bauernhöfe waren verwüstet. Von hohen Türmen war nicht ein Stein auf dem anderen gelassen worden, es lag nur noch verstreuter Schutt umher, als hätte ein fürchterliches Erdbeben sie aus den Fundamenten gerissen. Welche Armee, welche furchtbare Waffe hatte das bewirkt? Einmal mußte Romilly sich abwenden. Als sie den höchsten Punkt eines Hügels erreichten, erblickten sie in dem Tal unter ihnen ein verlassenes Dorf. Eine merkwürdige Stille hing über dem Land, obwohl die Häuser unbeschädigt dastanden, heiter und friedlich. Kein Rauch stieg aus den Schornsteinen auf, man hörte keine Pferde stampfen, Kinder spielen, Schmiede hämmern, Frauen beim Weben oder Waschen singen. Grabesruhe lag über dem Dorf, und jetzt erkannte Romilly ein schwaches grünliches Flackern. Die Häuser wurden von einem scheußlichen Miasma, einem fast greifbaren Nebel des Todes umspielt. Sobald es dunkel wurde, mußten sie mit einem unheimlichen Leuchten pulsieren. Ein halbverhungertes Raubtier schlich sich durch die Straßen, und vor ihren Augen wurde es langsamer, sank zu Boden und zuckte schwach, ohne einen Laut von sich zu geben. Jandria stellte kurz fest: »Knochenwasser-Staub. Wo dieses Zeug aus der Luft versprüht wird, stirbt das Land,
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