Herrin der Falken - 3
Lyondri Hastur blickte von seinem Sohn zu der Frau. Mit scharfer, trockener Stimme fragte er: »Schwertfrau, wißt Ihr, wo Orain in diesem Augenblick reitet?“
Romilly hätte vor diesen harten Augen nicht lügen können; er hätte die Wahrheit schnell aus ihr herausgeholt. Erleichterung wallte in ihr auf, daß sie ihn nicht zu belügen brauchte. »Ich habe Orain zuletzt in Caer Donn gesehen, als er Caryl – Dom Carolin – in das Haus der Schwesternschaft brachte. Und das ist mehr als zehn Tage her. Vermutlich ist er inzwischen bei der Armee.« Obwohl sie es versuchte, konnte sie das Bild der vorbeimarschierenden Armee nicht ausschließen, das Banner der Hasturs, blau und silbern, und Orain, der an der Seite des hinter seinem Mantel verborgenen Königs ritt. Lyondri allerdings würde ihn nicht König, sondern Usurpator nennen…
Ich habe etwas versprochen, das ich nicht halten kann. Ich wußte nicht, welcher Art der Mann war, dem ich diente. Ich bin zu seinem Henker und seiner harten Hand geworden… Es war für Romilly ein Schock, als ihr klar wurde, daß sie diesen dünnen Gedankenfaden von dem Mann vor ihr empfing. Oder war es ganz anders, deutete sie nur die winzigen Bewegungen seiner Augen und seines Körpers, wie sie es bei den Tieren tat, und unterlegte sie ihnen Gedanken? Der Kontakt schuf ihr peinliches Unbehagen, und sie war froh, als er plötzlich abriß. Es war, als habe Lyondri Hastur gemerkt, was sich abspielte, und eine Barriere errichtet.
Ich habe mein ganzes Leben lang mehr oder weniger Gedanken gelesen. Warum stört und verwirrt es mich jetzt?
Mit ruhiger Förmlichkeit erklärte der Hastur-Lord: »Ich schulde Euch eine Belohnung für Eure Bemühungen um meinen Sohn, und ich werde Euch geben, was Ihr wollt, ausgenommen Waffen, die gegen mich in diesem ungerechten Krieg verwendet werden könnten. Nennt mir Eure Wünsche.“
Jandria hatte sie darauf vorbereitet. Sie erklärte bestimmt: »Ich soll um drei Säcke mit medizinischen Vorräten für die Häuser der Schwesternschaft bitten, Verbandsleinen, das Gelee, das das Verkrusten des Blutes fördert, und Karalla-Puder.“
»Diese Dinge könnte ich Waffen nennen, da sie zweifellos gebraucht werden, um solchen zu helfen, die bei der Rebellion gegen ihren König verwundet worden sind«, überlegte Lyondri Hastur laut. Dann zuckte er die Schultern. »Ihr sollt das alles haben. Ich werde meinem Haushofmeister die entsprechenden Befehle geben. Dazu bekommt Ihr ein Packtier, das die Säcke in Euer Lager tragen wird.«
Romilly seufzte leise auf. Also würde sie nicht gefangengesetzt oder als Geisel zurückbehalten werden.
»Habt Ihr das von mir geglaubt?« fragte Lyondri Hastur und lachte kurz und scharf auf. Und sie hatte recht gehabt mit ihrem Verdacht, das sah sie wieder in seinen Gedanken. Zwei Telepathen waren nicht fähig, sich zu belügen. Romilly konnte von Glück sagen, daß er seinem Sohn die Illusionen über seine Ehre nicht nehmen wollte.
Ein Gefühl der Dankbarkeit für Caryls Anwesenheit überkam Romilly. Lyondri Hasturs Verhalten war bestimmt von dem Wunsch, sich die Bewunderung seines Sohns zu erhalten. »Aber, Vater«, wandte Caryl ein, »dies ist die Frau mit dem Falken, die ihn mich hat fliegen lassen. Bekomme ich einen eigenen? Und ich möchte, daß Mistress Romilly eines Tages meine Falkenmeisterin wird…«
Lyondri Hastur lächelte. Es war ein kaltes, geistesabwesendes Lächeln, aber immerhin ein Lächeln, und es war noch furchterregender als sein Lachen. Er sagte: »Mein Sohn hat eine Vorliebe für Euch gefaßt, Schwertfrau. Mitglieder der Schwesternschaft stehen in meinen Diensten. Wenn es Euch recht ist, bleibt und unterweist Caryl in der Kunst der Falknerei.«
Romilly wollte nichts als weg von hier. So gern sie Caryl hatte, ihr war noch nie ein Mann begegnet, der sie so ängstigte wie dieser trockene, harsche Mann mit dem kalten Lachen und den verkappten Augen. Nach einer höflichen Entschuldigung suchend, stotterte sie: »Ich bin… ich bin anderweitig verpflichtet, vai dom.»
Das akzeptierte er mit einer leichten Verbeugung. Er wußte, daß es eine Ausrede war, er wußte, was sie von ihm dachte, und er wußte, daß sie es wußte. »Wie Ihr wünscht, mestra. Carolin, sag deiner Freundin Lebewohl und gehe, deine Mutter zu begrüßen.«
Er kam und gab ihr auf sehr förmliche Art die Hand. Dann umarmte er sie impulsiv. Mit ernsten Augen blickte er zu ihr auf. »Vielleicht sehe ich dich wieder, Romilly, wenn dieser Krieg vorüber ist
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