Herrin der Falken - 3
Kundschaftervögel da oben. Ihre Furcht steckte Romilly an. Die Nacht verbrachten sie noch im Schutz des Waldes, und Jandria erlaubte nicht einmal ein Kochfeuer. Sie aßen Brot und Käse, banden die Tiere unter einem großen Baum an, breiteten ihre Decken nebeneinander aus und rollten sich der Wärme wegen zusammen. Die in den Bergen aufgewachsene Romilly fand es allerdings ziemlich warm und schlief, müde vom Reiten, bald ein. Einmal in der Nacht erwachte sie und hörte Jandria leise weinen. Verzweifelt wünschte sie, ihr fiele etwas ein, womit sie die andere Frau trösten könne, doch es war ein Leid, das weit über ihr Begriffsvermögen hinausging. Dann schlief sie weiter bis zum frühen Morgen. Jandria war schon auf und sattelte die Pferde. Ihr Gesicht war verschlossen, ihre Augen waren tränenlos, aber die Lider rot und geschwollen. »Meinst du, wir könnten heute morgen ein Feuer riskieren? Ich hätte gern etwas Warmes zu essen, und wenn wir bisher nicht verfolgt worden sind, müßten wir eigentlich entkommen sein«, sagte Romilly. Jandria zuckte die Schultern. »Es wird wohl nichts ausmachen. Wenn Lyondri mich wirklich finden möchte, braucht er bestimmt keine Fährtensucher. Schließlich hat er meine Gedanken über ihn aus so weiter Entfernung gelesen. In jedem Fall wäre nicht Lyondri hinter uns her, sondern Rakhal.« Sie seufzte. »Zünde ein Feuer an, dann werde ich warmen Brei kochen, kleine Schwester. Ich habe kein Recht, diese Reise für dich meiner grundlosen Ängste wegen beschwerlich zu machen. Du hast schon so lange und mühsame Ritte hinter dir, Romy, und immer jage ich dich weiter, wenn du glaubst, einen Platz zum Ausruhen gefunden zu haben.«
»Das geht schon in Ordnung«, antwortete Romilly, die nicht wußte, was sie sagen sollte. Sie ritt lieber mit Jandria, als daß sie im Haus der Schwesternschaft bei fremden Frauen blieb, unter denen sie bis jetzt noch keine Freundschaften geschlossen hatte. Als sie den warmen Brei aßen und die Pferde gemächlich Gras zupften, fragte Romilly zögernd: »Trauerst du um… um Lyondri?« Was sie wissen wollte, war: Lyondri war Jandrias Liebhaber gewesen; war sie immer noch an ihn gebunden? Jandria schien sie zu verstehen und zeigte ein kleines, melancholisches Lächeln.
»Ich trauere um mich selbst«, gestand sie. »Und um den Mann, für den ich Lyondri hielt – der er hätte sein können, hätte Rakhal ihn nicht mit dem Gedanken an Macht verführt. Jener Mann, der Mann, den ich geliebt habe, ist tot, so lange tot, daß nicht einmal die Götter ihn von dem Ort, wohin unsere toten Hoffnungen gehen mögen, zurückrufen könnten. Er legt immer noch Wert auf meine gute Meinung – das bedeutete die Botschaft oder Warnung –, aber es kann nichts anderes als seine Eitelkeit sein, die auch früher groß war. Ich glaube nicht, daß er… durch und durch böse ist.« Sie stolperte ein bißchen darüber. »Rakhal trägt die Schuld. Aber inzwischen muß er erkannt haben, wie Rakhal ist, und immer noch folgt er ihm nach. Deshalb kann ich ihn nicht schuldlos sprechen an all den Greueln, die in Rakhals Namen verübt werden.«
Romilly fragte schüchtern: »Hast du sie beide gekannt, Carolin und Rakhal? Wie ist Rakhal dazu gekommen, sich des Thrones zu bemächtigen?«
Jandria schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich habe den Hof verlassen, als Rakhal noch behauptete, Carolins treuester Gefolgsmann zu sein, und alle Gunstbeweise annahm, mit denen Carolin ihn als seinem liebsten Cousin und Pflegebruder überschüttete.«
»Carolin muß ein guter Mann sein«, meinte Romilly nach einer Pause, »sonst hätte Orain nicht soviel Hingabe für ihn. Und…«, sie zögerte, »und du auch nicht.«
Jandria fragte: »Du hast doch sicher Carolin kennengelernt, als du mit Orain zusammen warst?«
Romilly schüttelte den Kopf. »Man sagte mir, der König sei in Nevarsin, aber ich bin ihm dort nicht begegnet.«
Jandria hob die Augenbrauen, bemerkte jedoch nur: »Iß deinen Brei auf, Kind, und spüle den Topf im Bach aus. Dann reiten wir weiter.«
Schweigend verrichtete Romilly ihre Arbeit, sattelte die Pferde und packte ein, was von ihren Lebensmitteln noch übrig war. Sie stiegen auf, und erst jetzt sagte Jandria, so lange Zeit nach Romillys Frage, daß sie sie beinahe schon wieder vergessen hatte: »Carolin ist ein guter Mann. Sein einziger Fehler ist, daß er bedingungslos auf die Ehre der Hasturs vertraut, und er hat den Fehler begangen, Rakhal zu trauen. Nicht einmal Orain konnte
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