Herrin der Falken - 3
Manchmal vor Sonnenuntergang, wenn ihr Körper schläfrig im Sattel saß, stürzte ein Teil Romillys mit dem Falken nieder und teilte mit Preciosa das Erschrecken des Opfers, den schnellen, tötenden Schnabelhieb und das Hervorquellen frischen Blutes… Jedes Mal war es eine frische, neue Erfahrung und einzigartig befriedigend.
Etwa am sechsten Tag ihrer Reise, als Romilly im Geist mit dem Falken flog, trat ihr Pferd in das Loch eines Schlammkaninchens und fiel. Um sich schlagend und schreiend lag es am Boden. Romilly war aus den Steigbügeln geschleudert worden und hart aufgeprallt. Nun rang sie nach Atem. Noch bevor sie sich soweit erholt hatte, daß sie sich aufsetzen konnte, war Jandria schon abgestiegen und half ihr.
»Im Namen von Zandrus gefrorenen Höllen, wo warst du mit deinen Gedanken? Wie konntest du, eine so gute Reiterin, das Loch nicht sehen?« fragte Jandria ärgerlich. Die Schreie des Pferdes gingen Romilly durch und durch. Sie kniete sich neben das Tier. Seine Augen waren rot, Schaum stand ihm ums Maul vor Qual. Sie glitt schnell in Rapport mit ihm und fühlte den reißenden Schmerz in ihrem eigenen Bein, sah den weißen, gesplitterten Knochen durch die Haut ragen. Da war keine Hilfe mehr möglich. Weinend vor Entsetzen und Leid tastete sie nach dem Messer an ihrem Gürtel, fand schnell die große Arterie unter dem Fleisch und stieß es fest hinein. Ein letztes krampfhaftes Zucken, ein Augenblick der Todesangst – dann war es still, alles um sie war erstarrt und still, und das Pferd mit seiner Furcht war einfach fort, von ihr gegangen und ließ sie leer und kalt zurück.
Unsicher wischte Romilly ihr Messer an einem Grasbüschel ab und steckte es wieder in die Scheide. Sie wagte es nicht, aufzusehen und Jandrias Blick zu begegnen. Ihr verdammtes Laran hatte dem Pferd das Leben gekostet, denn wenn sie mit Verstand geritten wäre, hätte sie das Loch bestimmt gesehen…
Endlich fragte Jandria: »War das notwendig?«
»Ja.« Romilly versuchte nicht, es zu erklären. Jandria hatte nicht genug Laran, um es zu verstehen, und es gab keinen Grund, sie mit Romillys Schuldgefühlen, mit der Wut über ihre Gabe zu belasten, die sie dazu verführt hatte, im Geist bei dem Falken zu sein und das Pferd darüber zu vergessen. Sie schluckte heftig, denn die aufsteigenden Tränen machten ihr die Kehle eng, und verfluchte ihre Gabe. »Es tut mir leid, Janni. Ich… ich hätte besser achtgeben sollen…«
Jandria seufzte. »Ich habe dir keinen Vorwurf gemacht, chiya; das war ein unglücklicher Zufall, sonst nichts. Denn nun haben wir hier mitten in den Bergen nur noch ein Pferd, und ich hatte gehofft, Serrais morgen abend zu erreichen.«
»Dahin gehen wir? Und warum?«
»Ich habe es dir nicht gesagt, weil wir hätten verfolgt werden können. Was du nicht wußtest, konntest du nicht verraten.«
Also vertraut Jandria mir nicht. Recht hat sie; anscheinend bin ich nicht vertrauenswürdig. Mein armes Pferd hat es erfahren müssen… Trotzdem protestierte sie: »Ich würde dich nie verraten.«
Sanft antwortete Jandria: »Daran habe ich auch nicht gedacht, Liebes. Ich meinte nur – was du nicht wußtest, konnte dir auch nicht durch Folter entrissen oder deinen Gedanken durch eine Leronis mit einem dieser Sternensteine entnommen werden. Man hätte schnell festgestellt, daß du nichts wußtest. Aber nun würdest du es in ein oder zwei Tagen sowieso erfahren.«
Sie kniete sich neben Romilly und löste die Sattelriemen. »Du kannst auf einem der Pack-Chervines reiten, und wir laden dem anderen beide Packen auf. Dann kommen wir zwar langsamer voran, aber daran ist nichts zu ändern.«
Sie begann, das ihr am nächsten stehende Chervine abzuladen, sah Romilly stocksteif dastehen und rief: »Komm schon und hilf mir!«
Romillys Blick hing an dem toten Pferd. Schon krochen Insekten auf das verklumpte Blut um das zerschmetterte Bein zu. »Können wir es nicht begraben?«
Jandria schüttelte den Kopf. »Keine Zeit, keine Werkzeuge. Laß es zur Nahrung für die wilden Tiere liegen.« Romilly sah schockiert auf, und Jandria setzte freundlich hinzu: »Liebes Kind, ich weiß, was dein Pferd dir bedeutet hat.«
Nein, das weißt du nicht, dachte Romilly grimmig, das würdest du nie begreifen!
»Meinst du, ihm kommt es auch nur ein bißchen darauf an, ob seinen Körper die wilden Tiere fressen oder ob es eine Bestattung wie ein Hastur-Lord erhält? Es ist ja nicht mehr in seinem Körper.«
Romilly nahm sich zusammen. »Das weiß ich. Es
Weitere Kostenlose Bücher