Herrin der Falken - 3
erklärte er mit gnadenlosem Zorn: »Ich werde es nicht zulassen, daß sie ihn blenden, kastrieren, schinden. Wenn uns heute nacht nichts anderes einfällt, stürme ich morgen früh die Stadt mit allem, was mir zur Verfügung steht. Ich werde bekanntgeben, daß keinem Bürger ein Leid geschieht, der die Hand nicht gegen mich erhebt. Aber wir werden jedes Haus durchsuchen, bis wir ihn finden, und dann wird seine Qual wenigstens ein rasches Ende haben. Und dann werden die Folterer in meine Hände fallen.«
Romilly sah ihn an. Carolin war ein anständiger Mann, er würde selbst Lyondri Hastur nichts Schlimmeres antun, als daß er ihn tötete. Er mochte ihn hängen lassen und seinen Leichnam als Warnung zur Schau stellen, statt ihm den Tod eines Adligen durch das Schwert zu gewähren. Doch sollte es so weit kommen, traf Lyondri immer noch ein gnädigeres Schicksal als Orain. Carolin ließ in der Armee unauffällig weitersagen, man solle sich bereitmachen, das Stadttor im Morgengrauen zu stürmen.
»Kann dein Falke im Dunkeln gut genug sehen, um uns dahin zu führen, wo sich Rakhal mit seinen Folterknechten versteckt? Ich glaube nicht, daß er dies selbst tut, mit eigener Hand.« Er wies auf das Päckchen.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Romilly leise. Während die anderen gesprochen hatten, war in ihr ein Plan gereift. »Wie viele Männer bewachen die Stadtmauern?“
»Das weiß ich nicht, aber sie haben Kundschaftervögel rings um die Mauer und gefährliche Hunde. Sollte jemand versuchen, sich durch ein Seitentor in die Stadt zu schleichen – wir haben es versucht –, machen die Vögel und Hunde einen solchen Lärm, daß jeder von Rakhals Männern aufgeweckt und an diese Stelle gerufen wird«, antwortete Carolin verzagt. »Gut«, sagte Romilly ruhig. »Das könnte kaum besser sein.“
»Was meinst du?«
»Ich überlege mir folgendes, mein Lord. Mein Laran ist von geringem Nutzen gegen Menschen. Und Ihr sagt, Rakhals leronyn hätten die Stadt gegen unser Laran abgeschirmt – Laran, wie es Eure Männer einsetzen. Aber ich fürchte keinen Vogel, keinen Hund, nichts, das auf vier Beinen läuft oder mit Flügeln fliegt. Laßt mich vor dem Morgengrauen allein in die Stadt gehen und den Ort finden, mein Lord.«
»Allein? Du, ein Mädchen?« begann Carolin. Dann schüttelte er den Kopf.
»Du hast wieder und wieder bewiesen, daß du mehr als ein Mädchen bist, Schwertfrau«, sagte er leise. »Es ist das Risiko wert. Hast du keinen Erfolg, werden wir morgen früh wenigstens wissen, wo wir zuerst zuzuschlagen haben, um sie zu zwingen, ihm einen schnellen Tod zu geben. Nur laß es erst dunkel werden. Auch hast du einen langen Ritt hinter dir. Besorge ihr etwas Richtiges zu essen, Jandria, und laß sie ein bißchen schlafen.«
»Ich könnte doch nicht schlafen«, protestierte Romilly. »Dann ruhe dich wenigstens aus«, befahl Carolin, und Romilly neigte den Kopf.
»Wie Ihr wollt.«
Jandria nahm sie mit zum Zelt der Schwertfrauen, brachte ihr Essen und saubere Kleidung.
»Und Waschwasser und einen Kamm«, bat Romilly. Also holte Jandria vom Feuer der Kantine warmes Wasser. Romilly wusch sich und versuchte, ihr verfilztes Haar auszukämmen. Jandria, die ihr half, mußte es schließlich ganz kurz schneiden. Dankbar stieg Romilly in saubere, weiche Unterwäsche, in eine neue Jacke und Hose. Sie hatte keine anderen Stiefel als die der Landfrau, aber sie streifte saubere Strümpfe über ihre Füße. Welch eine Wohltat war es, sauber und ordentlich zu sein, gekochte Speisen zu essen, sich menschlich zu fühlen.
»Und jetzt mußt du ausruhen«, sagte Jandria, »Carolin hat es befohlen. Ich verspreche dir, ich wecke dich um Mitternacht.«
Romilly legte sich neben Jandria auf die Decke. Das Licht des abnehmenden Monds fiel ins Zelt, und Romilly dachte mit großer Traurigkeit daran, daß Ranald neben ihr gelegen hatte, als die Monde das letzte Mal voll gewesen waren. Jetzt war er tot, und es dünkte sie so bitter, so sinnlos. Sie hatte ihn nicht geliebt, aber er war gut zu ihr gewesen und der erste Mann, dem sie sich hingegeben hatte. Sie würde ihn nie vergessen und für immer ein bißchen um ihn trauern. Jandria schwieg. Romilly wußte, ihre Freundin trauerte ebenfalls, nicht nur wegen der Gefahr, in der sich Orain befand, sondern auch um Lyondri Hastur, der für sie einmal das gewesen war, was Ranald für Romilly bedeutete, der erste, der ihre Weiblichkeit und ihr Verlangen erweckte. Und sie konnte an ihn nicht einmal mit der süßen
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