Herrin der Falken - 3
»Aber sie passen mir gut; macht mir ein Paar nach ihrem Maß, denn ich werde hoch in die Schneeberge hinauf müssen. Hast du Stiefel für die Hellers, Rumal? Bestimmt wirst du doch mit uns nach Tramontana reiten?«
Warum schließlich nicht? dachte Romilly. Ich habe kein anderes Ziel, und wenn Ruyven dort ist oder ich Nachricht über ihn erhalten kann, ist Tramontana für mich der beste Weg.
»Die Stiefel, die der junge Herr trägt, werden auf den Gletscherpfaden nicht lange halten«, meinte der Schuhmacher mit einem unterwürfigen Blick zu Orain hin. »Ich kann Eurem Sohn für zwei Silberstücke ein gutes, stabiles Paar anfertigen.«
Erst jetzt merkte Romilly, wie großzügig Dom Carlo Vorsorge getroffen hatte, sie für ihre Bemühungen um die Vögel und Reittiere zu bezahlen. Schnell sagte sie: »Ich habe –«
»Still, Junge«, unterbrach Orain sie. »Dom Carlo hat mich beauftragt, mich darum zu kümmern, daß du – wie auch alle seine Männer – bekommst, was du für die Reise brauchst. Setz dich jetzt hin und laß deinen Fuß messen… mein Sohn«, fügte er grinsend hinzu.
Romilly tat, wie ihr geheißen war, und streckte ihren schlanken Fuß in dem schäbigen, zu großen Strumpf aus. Der Schuhmacher pfiff eine Melodie vor sich hin, während er Maß nahm und mit einem Kreidestumpf geheimnisvolle Notizen und Ziffern auf eine Tafel neben seiner Bank malte. »Wann sollen sie fertig sein?«
»Gestern«, brummte Orain. »Es kann sein, daß wir die Stadt von einem Augenblick zum anderen verlassen müssen.«
Der Schuhmacher protestierte; Orain feilschte ein paar Minuten lang mit ihm, und dann einigten sie sich auf den Preis und übermorgen.
Sie verließen den Laden. »Morgen wäre besser«, meinte Orain finster. »Aber diese Handwerker haben heutzutage keinen Stolz mehr auf ihre Kunst. Nichts da!« schnaubte er, als Romilly den Rückweg einschlagen wollte. »Du willst wohl schleunigst ins Kloster zurück und in kalter Linsensuppe und Dünnbier schwelgen? Nach all diesen Tagen auf der Straße mit Mehlbrei und Reisebrot, das nicht viel besser als Hundekuchen ist, bin ich für Brathuhn und einen Schluck guten Weins in einer Garküche. Warum willst du schon umkehren? Die Vögel werden ja nicht wegfliegen, oder? Die Pferde stehen in ihrem warmen Stall, und die Mönche geben ihnen sicher Heu, wenn wir nicht zurückkommen. Machen wir also einen Spaziergang durch die Stadt.«
Romilly gab schulterzuckend nach. Sie war noch nie in einer Stadt von der Größe Nevarsins gewesen, und sie fürchtete, sich zu verlaufen, wenn sie allein auf Erkundung ausging. Aber mit Orain konnte sie den Weg durch die verwirrenden Straßen kennenlernen. Das Kloster ließ sich nicht verfehlen, da brauchte sie nur bergauf zu gehen. Es lag ja hoch über der Stadt. Der kurze Wintertag wurde heller und wieder dämmerig, während sie durch die Stadt gingen, meistens in freundschaftlichem Schweigen. Orain schien keine Lust zu haben, viel zu reden. Doch er machte sie auf verschiedene Sehenswürdigkeiten aufmerksam, den alten Schrein Sankt Valentins vom Schnee, die Höhle hoch oben im Berg, wo der Heilige gelebt haben und gestorben sein sollte, eine Werkstatt, die, wie er sagte, die beste Hufschmiede nördlich von Armida sei, einen Zuckerbäcker, bei dem, wie er grinsend erzählte, die Studenten aus dem Kloster an den Feiertagen ihr Taschengeld ließen. Romilly war zumute, als sei sie einer ihrer Brüder, unbehindert von all den Vorschriften, die das Benehmen der Frauen regelten. Mit Orain verstand sie sich so gut, als habe sie ihn ihr Leben lang gekannt. Er hatte den ländlichen Dialekt völlig vergessen und sprach mit angenehmer, kultivierter Stimme, die nur, wie bei Alderic, einen Hauch von Tiefland-Akzent hatte.
Sein Alter konnte Romilly nicht erraten. Er war bestimmt kein junger Mann mehr. Andererseits hielt sie ihn für nicht so alt wie ihren Vater. Seine Hände waren rauh und schwielig wie die eines Schwertkämpfers, aber die Nägel waren sauber und gepflegt, nicht schmutzig und abgebrochen wie die der anderen Gefolgsleute Dom Carlos.
Er mußte wohlgeboren sein, wenn er der Pflegebruder des vertriebenen Carolin gewesen war. Ihr Vater, davon war sie überzeugt, hätte ihn willkommen geheißen und ihm die Ehren erwiesen, die einem Edelmann zustehen. Und obwohl Dom Carlo ihn nicht ganz als seinesgleichen behandelte, zeigte er ihm doch Zuneigung und Achtung und holte in allen Dingen seinen Rat ein.
Gegen Abend führte Orain sie in eine Garküche
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