Herrin der Falken - 3
Ritus der Cristofero-Mönche für das Fest? Romilly setzte sich hoch und entdeckte Orain. Bleich wie der Tod stand er in der Tür.
»Rumal, Junge! Ist Dom Carlo bei dir? Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, sich zu genieren.«
»Dom Carlo? Ich habe ihn seit Tagen nicht gesehen! Wovon sprecht Ihr, Orain?«
»Ich hatte den Eindruck… nein, ich sehe, du weißt nicht einmal, was ich meine. Verdammt!« Er taumelte und fiel gegen die Wand. »Entgegen aller Hoffnung hoffte ich… Es darf nicht sein, daß man ihn gefangen hat! Aldones gebe, daß er die Warnung rechtzeitig erhalten hat und geflohen ist. Horch, sie läuten Alarm! Wir sind verraten worden, irgendwer hat ihn erkannt – oder mich – ich hab’s doch gewußt, er hätte sich heute nicht herunterwagen dürfen!« Fluchend hämmerte er mit den Fäusten gegen die Wand. »Schnell, Junge, ins Gästehaus! Sie wissen, wo ich bin, können Carolin und seine Männer nicht fern sein. Der Vater Meister wird das Asylrecht achten, aber dem Hastur-Lord traue ich nicht. Wenn der Herr des Lichts vor seiner Nase erschiene und ihn bäte…«
Orain war jetzt stocknüchtern. Er wirkte krank und ausgemergelt; seine hageren Wangen waren hohl, aber seine Augen flammten vor Zorn.
»Lyondris Sohn! Hat er es seinen Spielgefährten ausgeplaudert, was meinst du? Lyondris Sohn – wie der Hund, so der Welpe! Mir machte es nichts aus, den Jungen mit meinem Dolch zu durchbohren, ich würde die Welt danach für einen sichereren Ort halten, wenn er darin nicht mehr zu einem ebensolchen Schurken wie sein Vater aufwachsen könnte!«
Romilly wich vor ihm zurück, und Orains Gesicht zuckte. »Nein, ich würde einem Kind nichts tun, nicht einmal Lyondris, glaube ich. Zieh die Stiefel an, Junge! Wir müssen schleunigst aus dem Kloster, aus der Stadt verschwinden. Erwischt man uns, ist unser aller Leben nicht das Gewicht einer Feder wert! Geh und rufe – nein, ich werde Alaric und die anderen wecken. Du sattelst die Pferde.«
Plötzlich war es Romilly, als schwebe Dom Carlos Gesicht vor ihr in der Luft, aber er war nicht da! Trotzdem hörte sie ihn zu ihr sagen: Nehmt die Vögel mit, verlaßt das Kloster durch das höchstgelegene Tor, das zu dem geheimen Paß oberhalb der verborgenen Zellen auf dem Gletscher führt.
»Vorwärts, Junge!« fuhr Orain sie an. »Wonach glotzt du?«
Mit bebender Stimme wiederholte Romilly Dom Carlos Worte. »Er war hier, ich habe ihn gehört, es war seine Stimme…«
»Du hast geträumt!« Orain ruckte ungeduldig mit dem Kopf, und in Romillys Gedanken erklang Dom Carlos Stimme: Erinnere ihn an einen gewissen Gürtel aus rotem Leder, um den wir uns stritten und die Nasen blutig schlugen.
Orain wollte gehen, doch Romilly hielt ihn am Ärmel fest. »Ich schwöre es, Orain, ich habe Dom Carlo gehört. Er hat etwas von einem roten Ledergürtel gesagt, um den ihr euch die Nasen blutig geschlagen habt.«
Orain blinzelte. Schnell schlug er ein abergläubisches Zeichen. Dann sagte er: »Also hast du Laran? Das dachte ich mir. Aye, dieser Gürtel ist seit einer ganzen Reihe von Jahren ein ständiger Witz zwischen uns. Ich will die Männer wecken. Beeile dich, so sehr du kannst.«
Romilly stellte fest, daß ihre Hände ganz ruhig waren. Sie sattelte die Reittiere, hüllte sich – dankbar für das Pelzfutter – in den Mantel, der Orains Mittwintergeschenk war, stopfte zwei Satteltaschen mit Korn und Futter für die Pferde und Chervines und einen weiteren mit der stinkenden Atzung der Kundschaftervögel voll. Sie verkappte sie – wenn sie versuchte, sie mitten in der Nacht ohne die Hauben fortzutragen, würden sie das ganze Kloster aufwecken; so waren sie wenigstens still. Die Blocks befestigte sie an ihrem, an Orains und an Alarics Sattel.
Als sie nach einer Weile aufblickte, sah sie Alaric neben sich arbeiten. »Irgendein Bastard hat uns verraten«, knurrte er, auf das ferne Alarmläuten lauschend. Es kam jetzt näher und näher. »Sie durchsuchen die Stadt Haus für Haus. Wenn sie am Kloster angelangt sind, werden sie in jeden Winkel, jeder Mönchszelle, sogar in der Kapelle nachsehen! Was ist, Junge, du sitzt doch auf einem Stuhl mit Orain – werden wir sie am Tor niederreiten?«
»Ich sitze nicht mit im Rat«, erwiderte Romilly. »Aber es ist etwas von einem geheimen Tor im höchstgelegenen Teil gesagt worden.«
»Und während wir mit der Suche nach den Geheimwegen Zeit verschwenden, finden uns Lyondris Männer, und ich tanze an einem Strick?« fragte Alaric. Romilly
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