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Herrin der Falken

Titel: Herrin der Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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sich schleppten. Er war in der Tat ein ungewöhnlicher Junge und klüger als Rael, auch wenn sie diesen Gedanken als Untreue gegen ihren kleinen Bruder empfand.
    Caryl wußte, daß sie eine Frau war. Manchmal hatte Romilly den Eindruck gehabt, auch Dom Carlo wisse es und behalte es aus irgendwelchen Gründen für sich. Seit sie erwacht war, hatten sich die Ereignisse so überstürzt, daß sie jetzt zum ersten Mal über den Wortlaut von Orains Frage nachdachte, die er ihr heute morgen im Stall gestellt hatte. Ist Carlo bei dir? Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, sich zu genieren! Hatte Carlo also Orain oder vielleicht Orain Carlo anvertraut, er habe sie als Frau durchschaut? Und hatte Orain daraus den Schluß gezogen, sie sei eine leichtfertige Person, so daß er Carlo in ihrem Bett anzutreffen dachte? Trotz der bitteren Kälte spürte Romilly die brennende Röte der Scham in ihren Wangen. Nun ja, für welche Art von Frau sollte er sie auch halten, da sie in Männerkleidung mit ihnen ritt?
    Wenn er es wußte, dann wußte er es eben, und wenn er das von ihr dachte, sollte er denken, was er mochte. Wenigstens war er Gentleman genug gewesen, es unter diesen wüsten Gesellen nicht weiterzuerzählen. Aber sie hatte begonnen, Orain sehr gern zu haben! 
    Wieder kam von den Klippen über ihnen der unheimliche Schrei eines Banshees, diesmal näher. Romilly ging es durch und durch, als ließe der gespenstische Laut ihre Knochen vibrieren. So mußte ein Beutetier des Raubvogels empfinden! Sie war wie gelähmt, die Welt um sie wurde ausgelöscht, es gab nichts mehr als dies fürchterliche Vibrieren, das ihre Sicht verschleierte und es dunkel um sie werden ließ. Caryl stöhnte und preßte mit angstvollem Erschauern die Hände auf die Ohren. Romilly bemerkte, daß die Männer vor ihr Mühe hatten, die Herrschaft über die verängstigten Chervines zu behalten. Die Kundschaftervögel schlugen mit den Schwingen, und die Chervines gaben ihr seltsames Röhren von sich, scheuten und tänzelten beinahe auf dem eisigen Weg. Eins von ihnen stolperte, der Reiter fiel und rutschte eine Strecke bergab, bevor er die Fersen in das Eis bohren, aufstehen und seinem Reittier nachlaufen konnte. Ein zweites Chervine rannte in ihn hinein, und es entstand ein höllisches Durcheinander. Fluchend kämpften die Männer mit den Zügeln. Die Schreie und das Flattern der verkappten Kundschaftervögel trugen zu dem Chaos bei. Und wieder gellte der furchterregende Banshee-Schrei von den Klippen nieder, und ein anderer antwortete ihm.
    Romilly schüttelte Caryl leicht. »Hör auf!« befahl sie heftig. »Hilf mir… hilf mir, die Vögel zu beruhigen!« Ihr Atem kam in Stößen, sie sah ihn in der eisigen Luft dampfen. Sich zusammennehmend, sandte sie mit diesem ihrem besonderen Sinn Gedanken an Ruhe, Frieden, Nahrung, Zuneigung aus. Es gelang ihr, die Vögel zu erreichen. Als sich dann Caryls Gedanken mit den ihren vereinigten, wurde einer der großen Vögel nach dem anderen auf seinem Sattelblock still, und Carlo und seine Männer waren imstande, die Reittiere wieder unter Kontrolle zu bringen. Gerade hier wurde der Weg breit genug, daß Platz für drei oder vier Tiere nebeneinander war. Carlo winkte den anderen, aufzurücken, und sie versammelten sich zu einer kleinen Gruppe.
    Allmählich hoben sich die Klippen über ihnen scharf vor dem heller werdenden Himmel ab. Rosa-und purpurfarbene Wolken säumten die dunklen Felsen des Passes. Der Morgen war nahe. Weiter oben wurde der Pfad schmaler und führte über den Gletscher. Vor ihren Augen bewegte sich ein großer Schatten quer über den Steilhang. Von neuem erscholl der entsetzliche, jammernde Schrei, und von höher oben antwortete ihm ein zweiter. Orain preßte die schmalen Lippen zusammen und stellte trocken fest: »Das hat uns gerade noch gefehlt! Es sind zwei von den verdammten Biestern. Das Tageslicht wird noch eine gute Stunde auf sich warten lassen. Und selbst nach Sonnenaufgang wäre es nicht sicher, daß wir ihnen entkommen. Hier warten dürfen wir auf keinen Fall. Wenn wir verfolgt werden, müssen wir, bevor es hell wird, ein gutes Stück auf der anderen Seite des Passes sein, wo der Wald uns verbirgt. Ein Blinder könnte unsere Fährte auf dem Eis lesen, und Lyondri hat bestimmt ein halbes Dutzend seiner verdammten Leroni bei sich!«
    »Wir sitzen mitten in der Falle«, murmelte Carlo, und sein Blick verlor sich in unbestimmte Fernen. Endlich sprach er in das Schweigen hinein: »Keine

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