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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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wären, für ihn die venezianische Stadt Zara an der Adriaküste von den Ungarn zurückzuerobern, würde er den Preis für die Überfahrt senken, und alles würde sich zum Guten wenden.«
    Saga schwirrte der Kopf. Die Schmerzen, die sich ein wenig gebessert hatten, kehrten zurück.
    »Unsere Kreuzritter waren davon verständlicherweise wenig begeistert. Sie waren aufgebrochen, um Ungläubige zu erschlagen, nicht ungarische Christen. Auch wollten sie nicht in die Kriegstreiberei der Venezianer verwickelt werden. Doch letztlich blieb ihnen keine andere Wahl. Der Pakt mit dem Dogen wurde geschlossen, und das Heer brach im November 1202 auf. Zara fiel nach einem vernichtenden Sturmangriff innerhalb weniger Tage, und es kam zu schweren Plünderungen durch Venezianer und Kreuzfahrer gleichermaßen. Papst Innozenz war angeblich außer sich, als er davon hörte, aber ob das die Wahrheit ist, weiß wohl nur er selbst. Derweil lagerte das Heer bis zu Beginn des Jahres 1203 in Zara, als eine Nachricht aus Konstantionpel eintraf. Alexios, Philipps Schwager und Sohn des gestürzten Kaisers, trat in Verhandlungen mit den Kreuzfahrern. Falls sie die Stadt angreifen und den alten Kaiser aus dem Kerker befreien würden, versprach er ihnen ausreichenden Nachschub für ihren gesamten Kriegszug im Heiligen Land. Da das Heer verarmt war und in der Schuld Venedigs stand, schien es weise, dieses Angebot anzunehmen. Philipps Plan ging auf.«
    Saga nickte nachdenklich, aber sie sagte nichts.
    »Die Flotte zog weiter gen Konstantinopel«, setzte Zinder seine Erzählung fort. »Im Juni 1203 erreichten die Männer die Stadt und griffen an. Tatsächlich gelang es ihnen, die Thronräuber zu besiegen und den Kaiser zu befreien. Da er allein nicht mehr in der Lage war, zu regieren, setzte ihm das Heer seinen Sohn Alexios an die Seite. Doch als es ans Bezahlen ging, musste Alexios ihnen gestehen, dass er seinen Teil der Abmachung nicht einhalten konnte. Die Kreuzritter waren rasend vor Zorn, erst recht, als das Volk rebellierte und versuchte, sie aus der Stadt zu werfen. Zugleich erhob sich eine Revolution gegen das schwache Kaisergespann. Alexios wurde ins Verlies geworfen und dort erdrosselt, sein Vater – Philipps Schwiegervater – starb wenige Tage später vor Kummer.
    »Dann hatte Philipp sein Ziel also nicht erreicht«, sagte Saga. »Und die Kreuzritter gingen leer aus.«
    Zinder nickte. »Das ist richtig. Und dazu waren sie ganz und gar nicht bereit. Das Heer der Kreuzfahrer eroberte Konstantinopel im April 1204 ein zweites Mal – und diesmal ließen sie sich ihre Belohnung von niemandem vorenthalten. Drei Tage lang plünderten und brandschatzten sie die Stadt, und niemand weiß, wie viele Unschuldige dabei abgeschlachtet wurden. Niemand im Abendland hatte Kirchen und Paläste wie jene in Konstantinopel gesehen, und besonders die Venezianer taten sich darin hervor, sie auszuplündern und ihre Beute auf dem schnellsten Weg zurück in ihre Heimat zu bringen. Niemals zuvor ist bei irgendeiner Eroberung so viel Reichtum erbeutet worden. Drei Achtel gingen an die Kreuzfahrer, drei Achtel an die Venezianer, und ein Viertel war für den neuen Kaiser vorgesehen, den das Heer auf den byzantinischen Thron setzte.«
    Saga versuchte, die Zusammenhänge zu begreifen. Die Vielzahl der Namen und Ereignisse ließ ihren Schädel brummen. Während die Kreuzfahrer geglaubt hatten, dass sie in den Heiligen Krieg ziehen würden, waren sie in Wahrheit ausgenutzt worden. Philipp hatte sich des Heeres bedient, um seine eigene Macht auszubauen, auch wenn er damit kläglich gescheitert war. Und die Venezianer hatten das erreicht, was sie allein nie fertig gebracht hätten. »Was wurde aus den Kreuzfahrern?«
    Zinder holte tief Atem, blickte auf seine schmutzigen Fingernägel und lächelte halbherzig. »Mit der Eroberung Konstantinopels war der Kreuzzug beendet. Es kam zum Streit unter den Kreuzfahrern, aus vielerlei Gründen, nicht zuletzt, weil einige nun ein schlechtes Gewissen plagte. Christen hatten Christen getötet, hatten christliche Kirchen geplündert und ein uraltes Reich ohne ersichtlichen Grund in Schutt und Asche gelegt. Wie sollten sie das jemals zu Hause erklären? Viele beschlossen, nie mehr in die Heimat zurückzukehren, teils aus Angst vor der Schande, teils weil sie Ländereien in Romania – wie man von da an Byzanz nannte – für sich beanspruchten und sich dort niederließen. Einige wenige beschlossen gar, ihre Fahrt ins Heilige Land

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