Herrin der Schädel
überraschen.
Ich gab den beiden noch eine halbe Minute.
Dann ging ich los…
***
Suko saß dem alten Küster gegenüber, der zugleich so etwas wie ein Heimatdichter und Archivar war. Der Mann hieß Arnold Sheen, war über 70 Jahre alt und gehörte zu den Menschen, die sich der Heimat und der Erhaltung des Erbes verschrieben hatten.
Nicht des persönlichen allein. Er war jemand, der die Tradition schätzte, der bewahren wollte, was Menschen hinterlassen hatten, und dazu zählten auch die Pfarrer, die in den verschiedenen Gemeinden gewirkt hatten. Er kannte sich in seiner Gegend aus, was die Historie der Kirchen anging, und er wurde gern engagiert, um irgendwelche Führungen zu übernehmen. Er kannte in den Kirchen jeden Stein, er konnte viel erzählen und auch Geschichten um Tatsachen erfinden. Er lebte für seinen Job, den er freiwillig weiterführte, obwohl man ihn offiziell in Pension geschickt hatte, doch nun war für ihn ein Weltbild zusammengebrochen, wie er Suko erklärte.
»Ich kann noch immer nicht glauben, dass es Menschen gibt, die so etwas tun, Inspektor.«
»Leider ist das Leben anders.«
»Aber was wollen sie damit? Was wollen diese verfluchten Typen mit den Schädeln der Toten?«
»Ich weiß es nicht.«
Der Küster, dessen haarloser Kopf im gelben Licht der Lampe leuchtete wie eine Kugel und dessen Haut von dicken Falten gezeichnet war, schaute Suko skeptisch an. »Wissen Sie, Inspektor, ich will nicht behaupten, dass ich Ihnen nicht glaube, aber ich kann mir schon vorstellen, dass Sie einen Verdacht haben.«
Suko lächelte. »Das mag stimmen, Mr. Sheen, aber ein Verdacht ist kein Beweis. Und den möchte ich gern in dieser Nacht bekommen.«
»Kann ich mir denken, Inspektor. Es ist trotzdem schrecklich für mich.« Er schüttelte den Kopf. »Wissen Sie, ich habe immer Ehrfurcht vor den Toten gehabt, und ich bin davon ausgegangen, dass andere Menschen so denken wie ich. Das habe ich jahrelang geglaubt, aber jetzt weiß ich, dass ich damit falsch liege. Es gibt tatsächlich Menschen, die keine Ehrfurcht vor dem Tod haben und selbst dann noch rauben, was die Natur zurückgelassen hat. Warum? Was, bitte schön, kann man damit anfangen?«
»Sie und ich wohl nichts, Mrs. Sheen. Andere schon. Davon müssen wir einfach ausgehen.«
Der Küster senkte seine Stimme. »Ich habe mal etwas von Schwarzen Messen gelesen. Meinen Sie, dass diese verfluchten Diebe die Schädel dafür nehmen?«
»Ja, das kann sein.«
»Sehr unverständlich für mich. Ich begreife so was nicht.«
»Aber es ist eine Tatsache, dass man an den Gittern gesägt und Schädel gestohlen hat.«
»Ja.«
»So, und ich denke, dass die Diebe das nicht zum ersten Mal getan haben. Hier werden sie fündig. Was im Vorraum der Kirche hier an Schädeln liegt, das ist schon eine Menge.«
»Ich weiß«, flüsterte Arnold Sheen. »Das weiß ich alles, aber ich kann mir nicht vorstellen… nein, nein, ich wiederhole mich. Wir sind stolz darauf gewesen, so etwas wie ein Beinhaus zu besitzen. Hinter den Gittern liegen die Köpfe der Pfarrer und Menschen, die ihnen nahe standen. Man hat sie gesammelt, um die Nachwelt daran zu erinnern, wie endlich das Leben doch ist. Man hat diese Sammlung immer akzeptiert. Man hat Kerzen aufgestellt zu bestimmten Zeiten. Die Menschen konnten die Gebeine durch die Gitterstäbe betrachten, und nie haben wir daran gedacht, die Erinnerungsstücke durch eine Alarmanlage absichern zu lassen. Aber daran wird wohl kein Weg Vorbeigehen.«
»Abwarten, Mr. Sheen. Erst mal müssen wir die Typen haben, und darauf setze ich.«
»Meinen Sie?«
»Ja.« Suko lächelte wieder. »Ich werde Ihnen auch den Grund erklären. Sie waren schon einmal hier, aber sie haben nicht viel mitnehmen können. Es dauerte zu lange, das Gitter zu durchsägen, dessen Stäbe ungewöhnlich stabil sind. Sie sind mit einer geringen Beute verschwunden. Aber die große Beute liegt noch hier, und sie werden zurückkehren, davon bin ich überzeugt.«
»Wäre logisch, wenn man das so sieht.«
»So muss man es sehen.«
»Aber bisher ist nichts passiert.«
»Das kann sich ändern.«
»Wie Sie meinen, Inspektor. Ich hoffe, dass es sich sogar sehr bald ändert.« Sheen ballte die Hände zu Fäusten. »Und dass es diesen Hundesöhnen an den Kragen geht.«
»Wir werden sehen.«
Suko hielt sich im Haus des Küsters auf. Das heißt, es gehörte dem Bistum, und Arnold Sheen hatte dort eine kleine Wohnung gemietet. Die Kirche lag nur ein paar Schritte
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