Herrin des Blutes - Thriller
eigenen Welt versunken. Ein Teil von ihr hätte Ursula am liebsten befohlen, der Prostituierten den Rest zu geben und sie nach unten zu begleiten, aber die Aussicht auf eine weitere Auseinandersetzung ließ sie davon Abstand nehmen.
Sie wandte sich Schreck zu. »Gehen Sie voran.«
Der Leutnant machte auf dem Absatz kehrt und entfernte sich im forschen Stechschritt. Giselle konnte kaum mithalten. Sie traten durch die offene Flügeltür und eilten den langen, von Kerzen erhellten Korridor entlang. Gedämpfte, aber dennoch eindeutige Geräusche drangen hinter den verschlossenen Türen hervor, die den Flur zu beiden Seiten säumten: ekstatisches Stöhnen und das erstickte Schluchzen und Wimmern der gequälten Leidenden, unter die sich hin und wieder Ausbrüche wahnwitziger Heiterkeit mischten. In den Fluren der weiteren Etagen drangen ganz ähnliche Geräusche an ihr Ohr, als sie die Wendeltreppe ins Erdgeschoss hinunterliefen. Schrecks Stiefelabsätze hämmerten einen lauten, unharmonischen Rhythmus auf die Marmorstufen. Giselle schoss der Gedanke durch den Kopf, dass die hallenden Kammern der Hölle ganz ähnlich klingen mussten. Die Vorstellung missfiel ihr ganz und gar nicht.
Schließlich erreichten sie das Ende der Treppe und gingen durch die Eingangshalle in ein großes Wohnzimmer, das mit teuren Möbeln aus massivem Eichenholz vollgestopft war. Giselle folgte Schreck bis zum Türbogen, der in den Speisesaal führte. Als sie näher kamen, konnte Giselle mehrere Stimmen hören. Frauenstimmen. Eine war ihr sofort vertraut. Dream Weaver. Obwohl sie die Frau nie persönlich kennengelernt hatte, kannte sie ihre Stimme aus unzähligen Fernsehauftritten. Ein winziger Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Ihre instinktive Furcht machte sie wütend. Dies war ihr Reich. Ihr Schloss. Hier wurde nach ihren Regeln gespielt. Dennoch gelang es ihr nicht, das Gefühl abzuschütteln.
Sie konnte keinerlei Furcht in der Stimme der Frau erkennen. Nicht den winzigsten Hauch. Kaum zu glauben. Ganz gleich, welche Übeltaten sie in der normalen Welt begangen hatte, sie befand sich nun auf feindlichem, überaus gefährlichem Terrain. Normalerweise hätte sie vor lauter Angst zittern müssen.
Aber das tat sie nicht.
Giselle trat in den Speisesaal. Über ein Dutzend schwer bewaffneter Mitglieder der Schwarzen Brigade waren an den Seiten des Raums postiert. Harte, brutale Männer. Sadisten, die sich unzähliger Gräueltaten schuldig gemacht hatten. Der vereinte Geruch ihrer Angst war schier überwältigend. Einige der Männer zappelten unruhig hin und her. Andere schwitzten und versuchten, in ihren schweren Stiefeln stillzustehen. Giselle überkam ein Gefühl der Abscheu und der Verachtung. Das war also ihre Elitetruppe. Ihr professionelles Mordkommando. Die Männer, denen sie die Sicherheit ihres Reiches anvertraute. Momentan wirkten sie ungefähr so furchteinflößend wie eine Gruppe von Pfadfindern mit Federballschlägern. In diesem Moment traf sie die Entscheidung, dass keiner dieser Männer einen weiteren Sonnenaufgang erleben würde.
Schreck eingeschlossen.
Diese unbarmherzigen Gedanken waren jedoch sofort vergessen, als Giselle sich mit den vier Frauen beschäftigte, die völlig entspannt am gegenüberliegenden Ende des Tisches saßen. Zwei von ihnen schienen Mitte 30 zu sein, eine Schwarze und eine Weiße. Die anderen beiden waren jünger, höchstens Anfang 20. Sie sahen sich ein wenig ähnlich. Die etwas Ältere hatte tiefschwarzes, zerzaustes Haar und war entschieden hübscher als die andere. Aber sie besaßen die gleichen schmalen Lippen, großen Augen und eine leicht nach oben zeigende Nase. Sie waren entweder Schwestern oder Cousinen. Mit der Jüngeren stimmte irgendetwas nicht. Ihr Mund stand offen. Speichelfäden tropften aus den Mundwinkeln, ihre dunklen Augen wirkten leer und tot.
Eine halb leere Flasche stand zwischen den Frauen auf dem Tisch, daneben drei Gläser, die unterschiedlich hoch mit einer braunen Flüssigkeit gefüllt waren. Die weiße Frau in den 30ern hatte ebenfalls zerzaustes tiefschwarzes Haar. Sie machte einen außergewöhnlich attraktiven Eindruck, zweifelsohne die Art von Frau, die jeden Look kopieren und zu ihrem eigenen machen konnte. Sie trug ein rosafarbenes Babydoll-Shirt, auf dem in großen glitzernden Buchstaben das Wort BITCH stand. Bei jeder anderen Frau in ihrem Alter hätte das T-Shirt lächerlich gewirkt, aber …
Dann machte es Klick.
Giselle rang sich ein Lächeln ab. »Hallo,
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