Herrin des Blutes - Thriller
vollkommener Stille statt, endete jedoch mit einem deutlich hörbaren Knall, der das Ende einer zeitlichen Verlagerung signalisierte.
Sie blinzelte gegen das grell aufblitzende Licht an. Die reale, menschliche Welt nahm um sie herum innerhalb dieses einen Wimpernschlags wieder Gestalt an. Dann stand sie in der leeren Küche der Wohnung einer Frau. Sie gründete diese Vermutung auf den allgemein sehr sauberen Zustand und die Einrichtung mit zahlreichen hübschen Dekoartikeln und hübschem Schnickschnack. Das Geräusch des Fernsehers, in dem eine Talkshow lief, drang aus dem Zimmer nebenan zu ihr. Giselle spürte ein seltsames Kribbeln und hob die Arme, um ihre frisch wiederhergestellten Hände zu betrachten. Sie beugte die Finger und staunte einen Moment lang stumm über die Leichtigkeit der Bewegungen und die weiche, makellose Haut, die Hände und Handgelenke miteinander verband.
Azaroth hatte Wort gehalten. Und nun war es an Giselle, ihren Teil der Abmachung zu erfüllen. Sie hörte Stimmen aus dem anderen Zimmer, eine männliche und eine weibliche. Eine der beiden klang schmerzlich vertraut, die andere nicht.
Giselle öffnete eine passend aussehende Schublade und fand ein Tranchiermesser mit einer breiten, flachen Klinge. Einer glänzenden und überaus scharfen Klinge.
Mit einem letzten Seufzer des Bedauerns ging sie der Quelle der Stimmen entgegen und versuchte dabei die ganze Zeit, die Zufriedenheit und das selbstgefällige Lächeln, das sich auf ihre Lippen stehlen wollte, zu unterdrücken.
Kapitel 8
Der Waldboden war nach den jüngsten Regenfällen völlig durchnässt. Die oberste Erdschicht stellte kein Hindernis für die Schaufelblätter dar. Erst in etwa 30 Zentimetern Tiefe wurde es schwieriger, aber da sie zu zweit waren, benötigten sie nur eine gute Stunde, um ein Grab von akzeptabler Größe auszuheben.
Marcy warf ihre Schaufel weg und kletterte aus dem Loch. »Das reicht.«
Michael wischte sich den Schweiß von der Stirn und mühte sich ab, seine Hand an der völlig verdreckten Jeans zu säubern. An seinen Augenbrauen bildeten sich sofort neue Schweißperlen. »Von mir wirst du keine Widerworte hören.« Auch er warf seine Schaufel beiseite und folgte Marcy aus der Grube. Er keuchte, weil er an derart schwere körperliche Ertüchtigung nicht gewöhnt war. »Wie tief ist das? 1,20 Meter oder so?«
»Es langt auf jeden Fall.« Marcy schraubte den Deckel einer Wasserflasche auf und genehmigte sich einen ausgiebigen Schluck. Sie hatte sich für das Vorhaben umgezogen und trug jetzt eine Jeans und ein T-Shirt von Bella Morte. Beides war nach der ungewohnten Anstrengung reif für die Waschmaschine. Aber sie fühlte sich gut. Schon seltsam. Eine Frau, die sie umbringen wollte, lag drüben im Haus ans Bett gefesselt, die Leiche einer ihrer Freundinnen im selben Zimmer. Ihre anderen Kumpel drehten allesamt durch. Auch sie selbst hätte vor lauter Panik dem Wahnsinn nahe sein müssen. Aber das war sie nicht. Sie fühlte sich ähnlich tiefenentspannt wie ein ins Gebet versunkener Mönch.
Michael richtete sich auf und wischte sich mit dem Unterarm weiteren Schweiß von der Stirn. Er hatte sein Hemd ausgezogen. Auch sein nackter Oberkörper glänzte, und im diffusen Sonnenlicht des frühen Morgens wirkte er wie ein Geist, der sich in den schräg herabfallenden Strahlen verfangen hatte. Marcy betrachtete ihn und spürte ein Kribbeln der Erregung. Er war schlank und durchaus gut aussehend, zumindest im Vergleich zu den anderen. Und er war cleverer als die anderen. Zu clever möglicherweise. Im Gegensatz zum Rest der Clique akzeptierte er nicht jede ihrer Äußerungen als eine Art Offenbarung. Möglicherweise bekam sie ihn ein wenig besser unter Kontrolle, wenn sie sich von ihm ficken ließ.
Er schaute sie an und runzelte die Stirn, als er das Leuchten in ihren Augen bemerkte. Er wandte seinen Blick ab und starrte scheinbar angestrengt auf eine Stelle irgendwo im Wald. Marcy vermutete, dass er ihren Gesichtsausdruck fehlgedeutet und nicht als Erregung verstanden hatte. Was absolut verständlich war. Er hatte große Angst vor ihr. Das ging inzwischen allen so.
Marcy trat an ihn heran und legte eine Hand auf seine Schulter. »Gibt’s irgendwas, das du mir anvertrauen möchtest, Michael? Etwas, das dir Sorgen macht …«
Michael zuckte unter ihrer Berührung zusammen. Sie spürte, wie sich sein ganzer Körper anspannte. »Na ja, ich finde, dass die ganze Angelegenheit auf einer ziemlich beschissenen Idee
Weitere Kostenlose Bücher