Herrin des Blutes - Thriller
friedfertig sie sich fühlte. Das Leben war so viel leichter, wenn man die ermüdenden Komplikationen moralischer Bedenken außer Acht ließ. Die offensichtliche Auslöschung ihres Gewissens beunruhigte sie keineswegs. Diese Umstände musste man in Kauf nehmen, wenn man einen Handel mit den Göttern einging, besonders, wenn sie der dunklen Seite angehörten. Sie versank in einen Dämmerzustand und tauchte in einen Traum ein, in dem sie auf einem hohen Thron aus Gold saß. Ein Publikum aus Sklaven kniete vor ihr. Sie sangen mit ausgestreckten Armen ein Loblied auf ihre Königin.
Das Knarren eines Scharniers riss sie jäh aus der Vision heraus und ihre Augen öffneten sich blinzelnd. Sie drehte den Kopf und sah, wie Miss Wickman mit ihrem Gefolge das Zimmer betrat. Sie war, so wie immer, sehr elegant gekleidet, trug ein schlichtes schwarzes Kleid, das bis kurz über die Knie reichte, sowie eine schwarze Strumpfhose und schwarze Stöckelschuhe. An ihrem Hals glänzte eine einreihige weiße Perlenkette. Das letzte Mal, als Giselle Miss Wickman gesehen hatte, trug diese ihr langes braunes Haar offen, nun war es am Hinterkopf zu einem Knoten zusammengebunden. Genau so hatte sie es in ihrer Zeit als erste Angestellte des Meisters und de facto zweite Frau in der Hierarchie ebenfalls getragen.
Zwei Mitglieder von Miss Wickmans Entourage waren muskulöse Männer, die in schwarzen militärischen Uniformen steckten und gleichfarbige, glänzend polierte Marschstiefel und Schildmützen trugen. Die beiden Kerle waren bewaffnet und flankierten ihre Gebieterin. Einer hielt eine Maschinenpistole in den Händen, der andere trug eine Seitenwaffe in einem Halfter. Giselle amüsierte der Anblick. Miss Wickman hatte zahlreiche Aspekte aus dem Regime des Meisters exakt wiederbelebt. Hinter den Wachen trottete eine bunte Mischung aus Schülern und Dienern, darunter auch der Sklave mit dem nackten Oberkörper, den Giselle zu Miss Wickman geschickt hatte.
Giselle unterdrückte ein Kichern, als Miss Wickman neben dem Sockel stehen blieb und auf die zerbrochene Büste starrte. Die Atmosphäre im Zimmer veränderte sich und alle Anwesenden spürten die geballte Energie. Niemand sagte ein Wort, aber einige der Schüler grinsten, da sie wussten, was nun kam. Sogar Giselle wurde ganz kribbelig zumute, als sie spürte, wie immense Wut in Miss Wickman aufstieg.
Schließlich wandte Miss Wickman ihren Blick von der zertrümmerten Büste ab und lächelte Giselle an. »Ich komme gleich zu dir, meine Liebe, aber ich muss mich zunächst um die Beseitigung eines kleinen Malheurs kümmern.«
Sie drehte sich um und rauschte an den bewaffneten Wachen vorbei. Sie hielt den Kopf wie ein angriffslustiger Bulle gesenkt, als sie zielstrebig auf den kauernden Sklaven mit dem nackten Oberkörper zusteuerte. Er schüttelte den Kopf, wimmerte und hob seine Hände in einer flehenden Geste. Er wich zurück, aber Miss Wickman bewegte sich schnell. Schon im nächsten Moment hielt sie den Kopf des Mannes mit ihren starken Händen umfasst. Dann war ein widerliches Knacken zu hören, und der Sklave fiel reglos zu Boden.
Eine der Schülerinnen, ein junges Mädchen mit blasser Haut und goldblondem Haar, applaudierte. »Bravo.«
Miss Wickman strich den Rock ihres Kleides glatt und lächelte das Mädchen an. »Danke, Gwendolyn. Könntest du dich bitte für mich um die Beseitigung dieser … Sauerei kümmern?«
Gwendolyn lächelte. »Natürlich.« Sie rollte eine Peitsche auf, knallte damit in Richtung zweier in der Nähe stehender Sklaven und kläffte ihnen schrille Befehle entgegen, während die Peitsche mehrere Hautstreifen von ihren Körpern schälte. Die Sklaven beeilten sich mit vereinten Kräften, den toten Sklaven aus Miss Wickmans Gemächern zu zerren. Gwendolyn und zwei weitere Schüler folgten ihnen nach draußen.
Miss Wickman hielt Giselles Blick ungerührt stand, während sie um das Bett herumging und unmittelbar vor den Glastüren verharrte. Giselle wälzte sich ein Stück nach links, um ihre Gegnerin besser im Auge behalten zu können.
»Ich bin sehr beeindruckt von dem, was dir gelungen ist, Giselle.« Aus Miss Wickmans gelassenem Tonfall ließ sich nicht der Hauch einer emotionalen Regung ablesen. Unglaublich. Die Selbstbeherrschung dieser Frau war wirklich bemerkenswert. »Du verfügst eindeutig über magische Fähigkeiten, die weit über das hinausgehen, was ich erwartete. Im Nachhinein betrachtet, hätte ich dich sofort umbringen lassen sollen.«
Die
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