Herrin des Blutes - Thriller
befürchtete, dass er sie verschlang.
Sie stieß einen wütenden Schrei aus und stürzte nach vorne. Das Mädchen ließ die Hand sinken, und ihr böses kleines Grinsen wich einem schockierten, überraschten Ausdruck. Dream packte sie an der Schulter und hievte sie in die Höhe. Ein Schreckensschrei brach aus den Lungen des Mädchens hervor, aber Dream ignorierte ihn, weil sie wusste, dass sie die Einzige war, die ihn hörte. Sie würde sich nicht von dem abbringen lassen, was getan werden musste, gestattete es diesem grauenvollen Wesen nicht, sich an ihr zu laben, um zu erstarken und schließlich ein körperlicher Bestandteil dieser Welt zu werden.
Der Körper des Mädchens bebte, während Dream sie immer weiter hochhob und sich dem Geländer näherte. Sie schluchzte und flehte, aber Dream blendete alles aus, konzentrierte sich einzig und allein auf die Aufgabe, die sie zu erfüllen hatte, und hielt den zierlichen Körper über die Brüstung.
Marcy brüllte sie an: »Dream, was zur Hölle treibst du da? Hast du deinen verfluchten Verstand verloren?«
Auch andere Menschen brüllten sie an. Schreie und Beschwörungen, verzweifelte Worte, die das Dröhnen in ihren Ohren nicht durchdringen konnten. Sie blendete auch das Geräusch von Schritten aus, die über den Asphalt auf sie zurannten. Die grapschenden Hände der Möchtegern-Retter, die sie im nächsten Moment packten, spürte sie hingegen sehr deutlich. Spürte, wie sie an ihren Armen rissen, an ihrem Haar und ihrer Kleidung zerrten und verzweifelt versuchten, sie festzuhalten und vom Abgrund wegzuzerren. Aber Dream war wild entschlossen und gab nicht einen Millimeter nach. Die Kraft, die in ihrem tiefsten Innersten schlummerte, erwachte zu voller Kraft und erfüllte ihren ganzen Körper mit einer Energie, die den vereinten Anstrengungen ihrer Umgebung um ein Vielfaches überlegen war. Auch wenn der Gedanke nicht bewusst in ihr Gestalt annahm, hatte sie doch eindeutig das Gefühl, dass diese Menschen versuchten, sie an einem offensichtlichen Selbstmordversuch zu hindern.
Sie lehnte sich weiter über das Geländer und schüttelte die tastenden Hände mühelos ab, während sie sich darauf vorbereitete, das Mädchen loszulassen. Die Kleine hörte urplötzlich auf, sich zu wehren, und sah Dream mit weit aufgerissenen, flehenden Augen an. Dann bewegte sich ihr Mund. Dream konnte nicht hören, was sie sagte, da das Dröhnen in ihren Ohren noch immer alle Fremdgeräusche überdeckte.
Das war’s. Alles, was Dream noch tun musste, war, das Mädchen loszulassen und aus den Händen rutschen zu lassen. Dann war diese kleine Episode des anhaltenden Albtraums, der sich als ihr Leben tarnte, ein für alle Mal vorbei. Aber Dream zögerte noch. Sie starrte auf die dünnen, aufgerissenen Lippen, die sich unablässig bewegten. Sah die schiefen weißen Zähne des Mädchens und die rosafarbene Zunge dahinter.
Das Dröhnen in ihren Ohren verstummte.
Das Rauschen des Wassers unter ihr kehrte zurück. Dann hörte sie die Schreie und verzweifelten Appelle der Menschen, die sie zu packen versuchten. Worte, die zu durcheinander und abgehackt waren, um einen Sinn zu ergeben. Dream konzentrierte sich auf die Lippenbewegungen des Mädchens und konnte endlich auch ihre Stimme hören, deren leiser Klang es irgendwie schaffte, die Kakofonie auf der Brücke zu durchdringen. Die Worte der Kleinen wurden von einer überirdischen Macht durch ihre Stimmbänder gepresst und auf anderen Kanälen zu Dream geleitet. »Der Meister erwartet dich in der Hölle, du Schlampe.«
Dream ließ das Mädchen los und machte einen Satz nach hinten. Die hinter ihr versammelte Menschenmenge verhinderte, dass sie noch weiter zurücktaumelte, und so konnte sie in allen Einzelheiten beobachten, wie der kleine Körper purzelnd in die Tiefe stürzte, wobei sich der Regenmantel flatternd öffnete und durch die ausgebreiteten Arme des Mädchens einen kurzen Augenblick lang ein winziges Segel bildete. Dann schlug sie im Wasser auf und schnitt durch die Oberfläche wie ein Skalpell durch Fleisch. Im nächsten Moment verschwand sie aus Dreams Blickfeld und die Menschen hinter ihr rannten auf die andere Seite der Brücke zu. Benommen drehte Dream sich um und sah zu, wie sie sich von ihr entfernten, während sich allmählich ein Stirnrunzeln auf ihrem erstaunten Gesicht abzeichnete.
Sie kreischte auf, als sie jemand am Arm packte. Reflexartig schlug sie um sich und spürte, wie ein loderndes Feuer durch ihren Körper
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