Herrin des Blutes - Thriller
schoss, als schwappte eine heiße Woge aus seiner Mitte durch sie hindurch und vertriebe die Kälte mit ihrem lodernden Kribbeln.
Marcy stieß einen Schrei aus, zog ihre Hand zurück und schüttelte sie heftig, als hätte sie auf eine glühende Herdplatte gefasst. »Verdammt, Dream, das war echt total abgefuckt. Wir müssen von hier verschwinden, bevor die Meute zurückkehrt und dich lyncht.«
Aber dafür war es bereits zu spät.
Mehrere Personen beugten sich auf der gegenüberliegenden Seite der Brücke über das Geländer. Eine Frau lehnte sich gegen eine Betonabsperrung und heulte wie ein untröstlicher Trauergast auf einer Beerdigung. Die Erkenntnis legte sich wie eine eiskalte Faust um Dreams Herz und die pulsierende Hitze erlosch abrupt.
Oh, nein, dachte Dream und schluckte schwer.
Drei Männer eilten mit entschlossenen Schritten auf sie zu. Der vorderste Mann war um die 30, groß und muskulös, mit einem dichten Schopf aus lockigem, braunem Haar und einem Bart. In seinen dunklen Augen funkelte unbändiger Zorn. Aus jeder Faser seines Körpers sprach unmissverständliche Mordlust. Aus seinem starren Blick. Den riesigen geballten Fäusten, die aussahen, als könnten sie Löcher in mehrere Schichten Stahl hauen.
Dream schüttelte den Kopf.
Oh, nein. Ohneinohneinohnein …
Das Mädchen war real gewesen.
Und dieser Mann war ihr Vater.
Dreams Augen füllten sich mit Tränen, während sie unbewusst einen Schritt zurücktrat. Ihr Rücken berührte das Geländer. Sie spielte kurz mit dem Gedanken, sich nach hinten ins Wasser fallen zu lassen. Es war das, was sie verdiente. Mein Gott, wie hatte sie sich nur so sehr täuschen können? Sie wusste schon seit geraumer Zeit, dass ihr der ohnehin sehr dünne Boden der Realität immer mehr unter den Füßen wegrutschte, aber sie hätte niemals geglaubt, dass es derartig tragische Konsequenzen haben würde. Sie hatte ein Kind getötet, auf dem Altar ihres bröckelnden Verstandes geopfert.
Ja, sie hatte den Tod verdient. Und sie fühlte sich bereit, ihrem Schicksal zu begegnen.
Der Mann kam immer näher. Seine Augen funkelten und er fletschte die Zähne, als er eine seiner riesigen Fäuste hoch über den Kopf hob. Dann krampfte sich etwas in Dream zusammen und der Mann erstarrte. Eine Druckwelle der Energie, so mächtig, dass sie beinahe sichtbar war, platzte aus ihr heraus und rauschte wie ein Frachtzug in die Brust des Mannes, riss ihn von den Beinen und schleuderte ihn zurück auf die andere Seite der Brücke. Dream sah, wie er voller Entsetzen die Augen aufriss, bevor die Welle ihn mitriss. Dann war er verschwunden und über das Geländer auf der anderen Seite gesegelt, wo er einen Augenblick lang regungslos in der Luft hängen blieb, bevor er in die Fluten stürzte.
Marcy schnappte nach Luft und sagte: »Heilige Scheiße. Heiligeheiligeheilige verdammte Scheiße.«
Die Männer, die dem Vater von der gegenüberliegenden Seite der Brücke gefolgt waren, lagen flach auf dem Rücken. Die Energiewelle hatte auch sie von den Beinen gefegt. Sie schauten voller Entsetzen zu Dream hinauf, robbten hastig rückwärts und versuchten, so viel Raum wie möglich zwischen sich und das Ungeheuer in Frauengestalt zu bringen. Denn das war es, was sie sahen, wenn sie Dream anschauten. Ein Ungeheuer. Kein menschliches Wesen. Sondern eine unbegreifliche Abnormität. Sie hatten recht.
Die Personen auf der anderen Seite der Brücke starrten sie an und zuckten zusammen, kauerten sich dicht an dicht gegen die Betonabsperrung und warteten auf den Zorn des Ungeheuers. Ein paar der Männer waren bewaffnet und trugen eine Uniform. Aber sie wirkten ebenso hilflos und gelähmt vor Schreck wie die weinende Frau, von der Dream annahm, dass es sich um die Mutter des toten Mädchens handelte. Dream starrte sie an und spürte, wie die wiedererwachte Energie in ihr brannte und sich danach sehnte, erneut zum Einsatz zu kommen. Und es wäre so einfach. Sie konnte sie allesamt auslöschen und die Szene ohne einen einzigen Kratzer verlassen.
Eine schwache, verängstigt klingende Stimme neben ihr sagte: »Dream … ernsthaft … wir müssen verschwinden.«
Ein seltsames Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, als Dream sich umdrehte. »Ich bin ein Monster, Marcy.«
Marcy legte eine Hand auf den Mund und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Pssst.« Dream berührte die Schulter des Mädchens und spürte, wie sich ihr Körper versteifte. Sie hatte genauso viel Angst vor ihr wie die Fremden, die auf
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