Herrin des Blutes - Thriller
gemeinsam mit Marcy und Ellen die ziellose Suche nach Miss Wickman fortsetzen.
Was natürlich vollkommen verrückt war. Diese Kreatur, die aussah wie ihre tote Freundin, mochte vielleicht nicht wirklich Alicia Jackson sein, aber sie hielt definitiv ebenso stur an ihrem Groll fest, wie es die echte Alicia getan hätte. Sie wollte Miss Wickman tot sehen, vorzugsweise durch die scharfe Klinge eines Rasiermessers. Dream störte der Gedanke nicht, zur Komplizin des Mords an dieser Frau zu werden. Ihre Peinigerin hatte den Tod und Schlimmeres verdient. Was sie hingegen störte, war die offensichtliche Unmöglichkeit, das Vorhaben in die Tat umzusetzen. Dort draußen wartete die große weite Welt und Miss Wickman konnte sich überall verstecken. Es bestand nicht die geringste Hoffnung, sie jemals zu finden.
Es sei denn …
Nun ja.
Es sei denn, Alicia nahm an, dass Miss Wickman ein neues Königreich erschaffen hatte, das jenem ähnelte, das der Meister einst regiert hatte. Alicia zeigte sich außerdem davon überzeugt, dass Miss Wickman Scharen von Agenten beschäftigte, welche bereits die ganze Welt nach Dream absuchten. Sie verriet nicht, warum sie das glaubte, aber es war offensichtlich, dass sie sich nicht von dem Gedanken abbringen ließ. Alicia hoffte, die Aufmerksamkeit dieser Agenten auf sich zu ziehen, um sich einfangen zu lassen und in dieses angebliche neue Königreich verschleppt zu werden. Womit die ebenso end- wie ziellose Jagd jegliche Notwendigkeit eingebüßt hätte. Dream hielt es für die einzige annähernd plausible Möglichkeit, dass Alicia bekam, was sie sich wünschte. Allein die Aussicht, noch einmal in Miss Wickmans kalte, tote Augen blicken zu müssen, jagte ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken, der ihr durch Mark und Bein ging.
Marcy bemerkte, dass Dream ihre Augen nicht von Alicia abwenden konnte, und lächelte. »Hey, wenigstens sind die Maden verschwunden.«
Dream lachte. »Ja. Das ist schon mal was.«
»Es ist also nicht alles schlecht.«
»Stimmt. Nur noch 99,98 Prozent.«
Dream bemerkte den dunklen Schemen eines Vogels, der durch ihr Blickfeld kreiste, bevor er in der zunehmenden Dunkelheit am Horizont verschwand. Der Regen wurde stärker und fiel in silberweißen Streifen vom Himmel. Die Temperatur schien in den letzten 20 Minuten erneut um ein paar Grad gefallen zu sein. Auch wenn es ursprünglich ihre Idee gewesen war, herzukommen, bedauerte sie die Entscheidung zunehmend. Es handelte sich um eine der Sehenswürdigkeiten, die sie schon immer hatte besuchen wollen. Als ihr bewusst wurde, dass sie sich unmittelbar in der Nähe aufhielten, bestand sie auf einen kurzen Abstecher.
Die Niagara-Fälle waren genauso schön, wie sie es sich vorgestellt hatte, und der Anblick der rauschenden Wassermassen hatte in ihr die erwartete Ehrfurcht ausgelöst. Die überwältigende Schönheit des Naturschauspiels wurde durch die aufsteigende Dämmerung noch verstärkt. Die Scheinwerfer hinter den Wasserfällen leuchteten und hüllten die tosenden Wassermassen in wunderbar sanfte Grüntöne. Das Problem war lediglich, dass sie den Anblick ausgerechnet mit ihren gegenwärtigen Begleitern teilen musste. Wie ungleich schöner wäre es gewesen, ihn mit einem Geliebten zu genießen, hier oder auf einer der näher gelegenen Aussichtsplattformen. Händchen haltend, dicht aneinandergekuschelt – der Archetypus eines romantischen Augenblicks.
Der Gedanke stürzte sie in eine spontane Depression. Zum ersten Mal seit längerer Zeit musste sie an Chad denken – und an das Leben, das sie hinter sich gelassen hatte. Vereinzelte Szenen und akustische Erinnerungsfetzen an ihre lautstarken Streitereien stiegen in ihr hoch. Streitereien, die sich fast jedes Mal um dieselbe Sache drehten: ihre immer stärkere Abhängigkeit von Alkohol und Tabletten. Chad fluchte unablässig über die versuchte Selbstmedikation und bestand darauf, dass sie sich professionelle Hilfe suchte, um die Schuldgefühle wegen des Tods ihrer Freundinnen zu überwinden.
Darauf folgte für gewöhnlich Dreams übliche Litanei bitterer Schuldzuweisungen, mit der sie ihm unfairerweise die Schuld an allem gab, was bei ihr verkehrt lief. Selbst damals hatte sie gemerkt, wie ungerecht sie sich verhielt, aber es war ihr egal gewesen. Sie würde sich ihren einzigen wirklichen Trost nicht verbieten lassen, die betäubende Wirkung durch das Gift ihrer Wahl. Die ganze Sache nahm ein Ende, als Dream eine leere Flasche gegen Chads Kopf
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