Herrin wider Willen
Verfügungen stets abgeraten. Es wäre für alle besser, diese Ergebnisse seiner Verwirrtheit zu vergessen. Du bist der Erbe, und du entscheidest nach deinem Herzen. So sollte es sein. Diese spitzfündelnden Advokaten richten nur Unheil an.«
Ada konnte nicht mehr an sich halten, es galt Sprechen oder Lachen. Der Eigennutz stand dieser weißen Frau ins Gesicht geschrieben. »Hat Graf von der Wenthe Euch etwas vermacht?«
Cornelia von Questenbergs Blick sprang mit einem giftigen Aufglühen zu ihr. »Wen bringst du denn da mit, lieber Konstantin? Eine … Bekannte?«
Adas Direktheit freute Lenz. Sie war offensichtlich bereit, den Kampf mit der fürchterlichen Person aufzunehmen. Habgierige, irritierende Frauen wie Cornelia von Questenberg waren ein Grund, warum er bislang nicht hatte heiraten wollen. Sie taten selten etwas Nützliches und beriefen sich meist auf eine Pflicht zur Fürsorge, die andere ihnen gegenüber erfüllen sollten.
Noch einen Augenblick zuvor hatte er sich von dieser ganzen Wenthe’schen Erbschaftsangelegenheit so angewidert gefühlt, dass er die Aussicht, auch nur einen Tag bleiben zu müssen, zum Verzweifeln fand. Nun kam ihm der Plan, auf dem Gut aufzuräumen, schon interessanter vor. Es hing alles davon ab, ob Ada dem Druck gewachsen war, der in den nächsten Tagen entstehen würde, und ob sie genug Mut hatte, sich den Gefahren zu stellen.
»Ada … Konrade Christiana Henriette von der Wenthe, geborene Lobeke, ist meine Gattin, Frau von der Quasten … Questenberg. Meines Wissens ist sie damit seit dem Ableben meines Vaters die Herrin dieses Hauses. Und nun bitte ich um Zurückhaltung, was die weitere Regelung des Nachlasses betrifft. Ich möchte, da es sich nun einmal so ergeben hat, Abschied von meinem Vater nehmen. Pastor Hasenbein wird Verständnis dafür haben, wenn ich ihn bitte, morgen zur Bestattung wieder vorzusprechen.«
»Procurator Eckermann aus Hermannsburg hat den Nachlass zu verwalten«, sagte Hasenbein. »Ich werde mich bei ihm erkundigen, ob das hier mit rechten Dingen zugeht.«
Ada erhob sich und stieg vom Wagen. »Das ist ein ausgezeichneter Gedanke. Ihr könnt ihn gleich zur Trauerfeier bitten. Im Anschluss kann er uns eröffnen, was mein Schwiegervater im Einzelnen vertestiert hat.« Sie ging um den Wagen herum auf Lenz’ Seite. »Dierk, lass das Pferd für einen Moment los, es kann ja nicht fort.«
Dierk verstand und kam zu ihr. Gemeinsam halfen sie Lenz beim Absteigen, der dabei so viel Würde zeigte wie möglich.
Cornelia von Questenberg hatte es die Sprache verschlagen. Aegidia fing an zu jammern, weil ihre Mutter ihre Hand zu fest drückte, und die wurde dadurch lange genug abgelenkt, um Ada und Lenz den Vortritt zur Haustür zu lassen.
Christopher kam eben von der Rückseite her um das Haus herum, als sie die Treppe erreichten. Ein Knecht war bei ihm. Dem Mann fehlte das linke Ohr, und eine Augenhöhle war von Brandnarbengewebe überwuchert. Es schauderte Ada, allmählich bekam sie den Eindruck, vor der Kuriositätenbude eines Jahrmarktes gelandet zu sein. Die merkwürdigsten Menschen hatten sich auf diesem Gut versammelt.
»Tag, Ottman. Bring Er mal den Wagen weg«, sagte Lenz zu dem Mann. Ada sah ihren Gatten von der Seite an. Er konnte einen Ton anschlagen, als sei er des Kaisers Vetter. Sie wollte Ottman entschuldigend zulächeln, aber er war schon unterwegs zum Wagen. Ihr Lächeln erreichte stattdessen Christopher, der es erwiderte, bevor er zu Dierk und seinem Pferd ging.
Lenz stieß sie an. »Deine Hand«, sagte er leise.
»Was?«
»Nimm meinen Arm. Wir betreten unser Haus. Dein Haus.«
Verwirrt legte Ada ihre Hand auf seinen Arm, und sie schritten über die Schwelle.
Lenz nahm Ada mit in den Kleinen Saal, in dem sein Vater aufgebahrt lag. Man hatte ihn würdevoll auf einen langen Tisch gebettet, der in der Mitte des Raumes stand.
Der Tisch war von den für eine Aufbahrung üblichen Kerzen umgeben, aber auch von Blumen. Sogar in die Hände hatte jemand seinem Vater einen weiß blühenden Zweig gesteckt. Lenz fragte sich, ob es eine Seele geben konnte, die das aus Liebe getan hatte, oder ob sein Vater dafür im Voraus bezahlt hatte. Beim Stand der Dinge im Haus mochte es ebenso gut aus Berechnung geschehen sein.
Adas Hand lag noch auf seinem Arm, als er sich neben seinen toten Vater stellte und darüber nachdachte, was er mit ihm verloren hatte.
Nichts, was er liebte, nicht einmal etwas, das er gut gekannt oder wenigstens gemocht
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