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Herrin wider Willen

Herrin wider Willen

Titel: Herrin wider Willen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
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kam. Einer zupfte am anderen, um Falten und Stroh aus der Kleidung zu entfernen. Zwei Frauen, ein Mann, ein Halbwüchsiger, etwas älter als Dierk, zwei Kinder, unterwegs in den Saal, um sich der neuen Herrin zu empfehlen. Hager sahen sie alle aus, und keiner lachte.
    An ihr sollte es nicht liegen, wenn das so blieb, nahm Ada sich vor. Die Tür quietschte in den Angeln, und sie drehte sich um.
    Zwei alte Frauen traten ein, ihre Pantoffeln schlurften über das Parkett. Die eine war noch zwanzig Jahre älter als die andere und hatte einen Buckel. Sie hielt sich am Arm der Jüngeren fest. Beide waren grau gekleidet, nicht schwarz. Ada nahm an, dass sie die einzigen guten Kleider trugen, die sie besaßen.
    Die Bucklige hatte unter ihrer hellgrauen Filzhaube weißes, dünnes Haar, das Gesicht war runzlig wie ein überwinterter Apfel, der Mund eingefallen. Ihre Augenwinkel waren von einer Entzündung rot, und die ehemals blaue Iris war milchig.
    Im Vergleich wirkte die Jüngere ansehnlich, doch bei genauerer Betrachtung verlor sich das. Nichts passte an der Frau zusammen: Für ihren kurzen Oberkörper waren Beine und der dürre Hals zu lang, der Kopf viel zu klein. Ein Kinn fehlte ihr völlig, die Nase war spitz, und die Haare waren zu einem schmutzigen Gelbgrau gealtert.
    Beide Frauen deuteten vor Ada einen mühevollen Knicks an. Die Ältere war es, die schließlich sprach.
    »Gnädije Fru, dat is de Baiersche Erna. Se kunn nich spreeken. Mi nömt se de Behnsche. Ik bün siet fiefuntsösstig Johrn in’t Huus.«
    Sie sprach ein schluriges Plattdeutsch, aber so langsam, dass Ada sie gerade noch verstehen konnte. »Fünfundsechzig Jahre im Haus, Behnsche! Das ist eine lange Zeit«, sagte sie und lächelte. »Und ganz sicher ist es das Anrecht auf einen Sitzplatz.«
    Zwischen den Fensteralkoven standen jeweils drei Stühle; Ada holte einen davon und lud die Behnsche zum Sitzen ein. Der stummen Baierschen Erna stellte sie es frei, sich einen Stuhl zu holen. Die Frau zog es vor, sich hinter den Stuhl der Behnschen zu stellen.
    Inzwischen war die Bauernfamilie angekommen, zusammen mit den Knechten Ottman und Jakob. Gleich hinterher schritten Lenz und die Magd Luise, mit Christopher und Dierk auf den Fersen.
    Zuletzt kam Cornelia von Questenberg in Begleitung ihrer Magd und ihrer Tochter. Die Magd war es, die diesmal das Kind trug. Nicht nur deshalb fiel sie Ada auf. Sie stach aus den Menschen von Wenthe durch Schönheit heraus. Ada hatte keine Ruhe, um sie lange zu betrachten, aber es brauchte nur einen Blick für die Erkenntnis: Anmut mit gefälligen Rundungen, und ein hübsches rosiges Gesicht unter weizenblonden Haaren. Grete hieß sie, ihre Herrin hatte vor einer Weile laut nach ihr durchs Haus gerufen. Das Kind fühlte sich bei ihr wohler als bei seiner Mutter; sie neckten sich, und die Magd gab dem Mädchen einen Kuss auf die Wange.
    Ada zählte und kam auf siebzehn Personen. Das Oberhaupt der Bauernfamilie Flügge unterrichtete sie davon, dass eine weitere Familie auf dem Anwesen lebte. Die Schwarkes wären allerdings samt Kind und Kegel auf dem Felde bei der Aue, beinah eine Stunde Wegs entfernt, wo früher das Dorf gewesen sei.
    Das Dorf war vier Jahre zuvor von Kaiserlichen Truppen niedergebrannt worden. Die Überlebenden hatten sich teils zu Verwandten in die Städte geflüchtet, teils hatten sie sich dem protestantischen Heer angeschlossen.
    Die Flügges und die Schwarkes waren auf Wenthe untergekommen, wohnten innerhalb der Mauer und versuchten tagsüber so gut wie möglich die Äcker zu bestellen, die den Menschen auf dem Gut das Überleben sicherten. In diesem Jahr hatten sie damit bisher Glück gehabt; die Saat war zumindest nicht zertreten. Aber bis zur Ernte dauerte es noch lang.
    Die Leute machten sich große Sorgen. Selbst die Kinder hatten alte Augen, als hätten sie schon zu viel Not gesehen. Außer Ada lächelte niemand im Saal, alle hatten schmale, gepresste Münder und wirkten müde. Hüte wurden ratlos in Händen gedreht.
    Auch Cornelia von Questenberg hatte ihre verzuckerte Freundlichkeit für den Moment verloren und beobachtete Lenz mit dem Blick eines hungrigen Habichts.
    Ada hatte sich mit den Flügges bekannt gemacht, sich mit deren Bauern-Platt abgemüht, das kaum leichter verständlich war als das der Behnschen, ihr am Ende des Gespräches aber schon vertraut wurde.
    Lenz sprach mit den Knechten, während die knochige Luise drei Schritte daneben stand und lauschte. Sie musterte Lenz ebenso

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