Herrin wider Willen
dass er sie nackt im Arm hielt. Ihre Unterlippe war voll und rot, und sie wehrte sich noch immer nicht. Sein Eheweib. Das Weib, das er nach Recht und Moral begehren durfte. Warum also nicht? Langsam beugte er seinen Nacken.
Bevor Lenz sich entschieden hatte, ob er Ada küssen würde oder nicht, waren Christopher und Cornelia unten angekommen und drehten sich zu ihnen um. »Kommt ihr?«
Zum ersten Mal, seit Ada ihn kannte, klang Christophers Stimme Lenz und ihr gegenüber unfreundlich. Nicht so sehr, dass es einem Fremden aufgefallen wäre, aber Ada hörte es, und sie sah den ungehaltenen Blick, mit dem er Lenz bedachte. Lenz ließ sie daraufhin frei, bis auf den Arm um ihre Schultern, damit er sich auf sie stützen konnte. Der Zauber war gebrochen, die Hitze, die sie gespürt hatte, verflog.
Zu viert standen sie kurz darauf vor dem Schubladenschrank von Lenz’ Vater, einem mit Intarsien bedeckten, mannshohen Möbelstück aus rotem Holz, nach den neuesten Vorlieben gefertigt. Seine Oberfläche glänzte makellos, ebenso die bronzenen Knäufe der sechzig Schubladen und Türchen.
Ada hatte schon von solchen Kunstwerken der Tischlerei gehört, deshalb vermutete sie, dass der Schrank geheime Fächer besaß, die sich nur mit gewissen Handgriffen öffnen ließen. Auf Tischhöhe war eine Schreibplatte eingearbeitet, die herausgezogen, aber leer war. Tintenfass, Gänsekiele, Sandbüchse, alles hatte seine besondere Nische in den Abteilen über der Platte.
Der Schrank war das schönste Möbelstück, das Ada je gesehen hatte. Er musste ein Vermögen gekostet haben. Obwohl sie die Vorstellung berauschend fand, das kostbare Stück zu besitzen, war ihre vordringlichste Überlegung, ob es eine Möglichkeit gab, es zu verkaufen. Vom Erlös konnten Löhne ausgezahlt werden und Lebensmittel angeschafft, die weit wichtiger waren.
So vorzugehen wäre sicher vernünftiger, als das Vieh zu verkaufen.
»Dieser Schrank gehört mir«, sagte Cornelia von Questenberg in dem Augenblick. »Ludwig hat ihn mir lange vor seinem Tod geschenkt. Er soll die Aussteuer für Aegidia aufnehmen.«
Lenz setzte sich seufzend auf den Polsterstuhl, der an der Schreibplatte stand.
Christopher hatte ein blaues Trinkglas von dem zweiten Tisch im Raum genommen, hielt es gegen das Licht, drehte es spielerisch. Die Farbschattierungen, die durch seine Verzierungen entstanden, waren bezaubernd. Das Glas war ein weiteres wertvolles Stück. Ada notierte es in Gedanken für den Verkauf. Bier schmeckte aus Tongeschirr nicht schlechter.
»Hat Graf Ludwig diesen Schrank anfertigen lassen?«, wandte sie sich an Cornelia. Gut verstellen konnte sie sich nicht, aber sie hoffte, freundlich zu klingen.
»Für Aegidia.« In Cornelias zierlichem weißem Gesicht traten plötzlich die Kiefermuskeln erstaunlich stark hervor.
Ada konnte verstehen, dass die alleinstehende Mutter um einen Anteil am Nachlass kämpfte, wessen Kind ihre Tochter auch sei. Sie selbst war sogar bereit, ungeschriebene Ansprüche anzuerkennen, wenn sie gerechtfertigt schienen.
Das änderte nichts daran, dass sie Cornelia von Questenberg nicht mochte. Wenn Aegidia Ludwig von der Wenthes Tochter war, dann hatte ihre Mutter in Sünde gelebt. War sie es nicht, nahm die Frau den Anschein von Unmoral aus Gewinnsucht in Kauf, was Ada gleich schlimm fand. Für die still trauernde Mutter eines illegitimen Kindes hätte sie Mitgefühl gehabt. Ohne Nachforschung hätte sie ihr eine Absicherung zugestanden. Bei Cornelia lag der Fall anders. »Hat er geheime Fächer?«
Cornelia sah sie überrascht an. Die Puderschicht konnte ihre Unentschlossenheit nicht verbergen. »Nein, das … das hat er nicht. Das heißt … eines. Aber das werdet ihr verstehen, das möchte ich für mich behalten. Wozu wäre ein geheimes Fach sonst gut?«
Lenz seufzte wieder und streckte mit verzerrtem Gesicht das Bein aus. Adas Gefühl für ihn ließ sie Cornelia fast vergessen. Sie hatte sich gewünscht, dass er sie küssen und sagen würde, dass er sich erinnerte.
»Er hat acht«, sagte er. »Ich wäre neugierig, ob Ihr auch nur eines davon fändet, Frau von Questenwald. Nebenbei hättet Ihr es schriftlich, wenn mein Vater Euch den Schrank geschenkt hätte. Lasst uns ein Ende mit dem Taktieren machen, bevor Ihr richtig damit beginnt. Es mag eine bittere Wahrheit für Euch sein, aber mein Vater hatte nicht die Absicht, Euch etwas zu vermachen. Ich erspare Euch die unschmeichelhaften Namen, mit denen er Euch belegt hat. Ich bin
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