Herrin wider Willen
Lenz’ überhebliche Unaufmerksamkeit fand ein jähes Ende, als ihm bewusst wurde, wie der Kleine ihn ausnahm. »Hat dein Onkel dir das Spielen beigebracht?«
Dierk zuckte mit den Schultern, schob die Karten zusammen und mischte. Dann hob er einen kleinen Stapel ab, ließ Lenz eine heimliche Karte auswählen, warf Karten hierhin und dorthin, legte sie aus, stellte ein paar scheinbar zusammenhanglose Fragen und warf ihm am Ende die Karte vor die Nase, die er ausgewählt hatte.
Lenz kannte einen ähnlichen Trick, doch dieser war besser und ausgesprochen geschmeidig ausgeführt worden. Er nickte anerkennend. »Dein Onkel hat viele Begabungen.«
»Er konnte immer etwas zu essen auftreiben.«
»Du hast heute nicht viel gegessen.«
»Ihr auch nicht. Und auch die gnädige Frau nicht und Herr Christopher. Wenn es an den ekelhaften Vogelborsten gelegen hätte, dann hätte wohl jemand Brot nachgeholt.«
Lenz kreuzte die Arme vor der Brust. »Du musst gar nicht scheinheilig tun, du weißt mehr, als du sagst. Die gnädige Frau und ich hatten einen Streit, das ist kein Geheimnis. Erklären kann ich ihn dir nicht, ich verstehe ihn selbst nicht. Vielleicht kannst eher du mir helfen. Du kennst ja auch beide: die gnädige Frau und Grete. Sag mir, welche gefällt dir besser?«
Dierk spielte ein Weilchen schweigend mit den Karten, mischte, legte aus, schob zusammen, drehte eine Karte zwischen den Fingern einer Hand. »Grete sieht aus wie ein Engel. Aber schöner ist die gnädige Frau. Sie ist von innen schön. Wie sie lacht und redet. Warm ist das. Man mag gern bei ihr sein. Oder wenigstens ich. Mancher mag ja eine wie die Grete. Für krumme Pötte gibt’s auch Deckel, hat mein Onkel immer gesagt. Aber ich finde, sie ist’ne Hexe.«
»Pass bloß auf, was du sagst. So was kriegt leicht einer in den falschen Hals.«
»Würd’ ich sonst nirgends sagen.«
»Sag mal, weißt du vielleicht zufällig, wer das ist, der die Grete mag? Ist es der Vogt?«
Dierk schnaufte belustigt. »Jedenfalls sind es der Vogt und die Grete, die immer nachts zusammen buttern. Das ist schon seltsam, nech?«
Er grinste von Ohr zu Ohr, der dreiste Bengel. Lenz hätte ihn schütteln mögen dafür, dass er nicht früher damit herausgerückt war, aber er beherrschte sich. »Weißt du noch was über den Vogt?«
Dierk nickte und legte die Karten weg. »Schwarke und der alte Flügge lachen immer hinter Vogts Rücken über ihn. Wenn er sie sieht, trauen sie sich nicht, aber sonst ziehen sie über ihn her. Sie sagen, er hätte der von … der verstorbenen Dame das Kind gemacht. Gegen Geld. Mit dem Geld weiß ich nicht, aber das mit dem Kind kann schon stimmen, würde ich sagen. Das Mädchen hat auch so’n spitzes Gesicht.«
Lenz schüttelte staunend den Kopf. »Was würde ich ohne dich tun? Weißt du nun auch noch, wer damals versucht hat, mich zu ermorden?«
Da hob Dierk entschuldigend die Hände. »Das wär bloß Raterei. Aber der Vogt und die Grete unterhalten sich beim Buttern schon mal …«
Die wahre Herrin des Gutes
13
Ada war ausnahmsweise ohne Schwierigkeiten eingeschlafen, die Erschöpfung hatte gesiegt. Beim Aufwachen kehrten allerdings alle bedrückenden Gedanken zurück. Sie hatte nicht darüber nachgedacht, warum sie Lenz den Ring zurückgeben wollte. Sie hatte gefühlt, dass sie es tun musste. Ihrem Empfinden nach musste alles neu geordnet werden.
Wenn er die Wahrheit sagte, dann konnte es nur Wilhelm Vogt gewesen sein, den sie mit Grete in der Milchkammer gesehen hatte. Keiner sonst auf dem Gut hatte eine so ähnliche Statur. Sie hätte früher darauf kommen können, wenn sie gewollt hätte, aber ihre Entrüstung hatte sie blind gemacht. Sie hatte leiden wollen, warf sie sich vor, nur deshalb hatte ihr der Zopf als Merkmal gereicht. Vogt trug die Haare immer stramm eingedreht und im Nacken unter seinem Hut hochgesteckt. Man vergaß, dass sie lang waren.
Natürlich war es nicht ausgeschlossen, dass Lenz log, aber eigentlich hatte er wenig Grund dazu. Sie hätte sich nicht von ihrer Eifersucht dazu bringen lassen dürfen, so unfreundlich zu sein. Ihr Gesicht wurde heiß, wenn sie daran dachte, dass er vielleicht gemerkt hatte, wie verliebt sie in ihn war. Verliebtheit war Blödheit, das war seine Überzeugung. Sie musste unbedingt beherrschter sein, auch wenn sie anderer Ansicht war. Aus Liebe brachten Menschen viel zustande. Der Wunsch, jemanden lieben zu dürfen, war zumindest in ihr so groß wie der, geliebt zu
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