Herrin wider Willen
gelebt, für den Schweigsamkeit in solchen Dingen überlebenswichtig war. Er hat dem Jungen beigebracht, den Mund zu halten, wo etwas nach Verbrechen aussieht.«
»Dass Grete Cornelia gestoßen hat, glaubst du nicht? Wir dürften sie sonst nicht gehen lassen. Mir ist auch nicht wohl dabei, dass du ihnen das Kind mitgegeben hast. Die Kleine wird unter allem leiden müssen.«
»In einem Land wie diesem käme es mir absurd vor, einen Richter für eine Frau aufzutreiben, die einen lächerlich halbherzigen Versuch gemacht hat, mich aus dem Weg zu schaffen. Sie hat sich bloß verhalten, wie es üblich ist, wo Moral und Sitte verfallen. Und wenn etwas Gutes an ihr ist, dann, dass sie für das Kind sorgen wird.«
»Als halbherzig empfand ich es nicht. Du hättest tot sein können. Warum hat sie es getan?«
»Du weißt, dass mein Onkel Wenthe für sich will, nicht wahr? Er hat Vogt hergeschickt, damit der über kurz oder lang einen Weg ausfindig macht, das zu bewerkstelligen. Grete hat es zu lange gedauert. Sie wollte, dass er handelt, bevor wir uns hier festgesetzt haben, du und ich. Ihre Annahme war, dass du Vogt schnell eingestellt hättest, wenn ich nicht mehr wäre. Dich glaubte sie lenken zu können. Sie wäre dann an Vogts Seite hier so gut wie die Herrin gewesen.«
Ada schüttelte seufzend den Kopf. »Gesetzt den Fall, sie hätte sich gegen Luise durchsetzen können, was ich nicht glaube.«
»Mit meinem Onkel im Rücken hätten sie jeden loswerden können, der ihnen im Wege ist. Luise ist nicht mehr als eine Magd. Sie verschwinden zu lassen, erregte hier wohl kaum großes Aufsehen. Gerade, dass sie eine Tochter meines Vaters ist, nähme meinen Onkel sicher noch schneller gegen sie ein. Ich vermute, er hasst alle, die zu Ludwigs Hausstand gehört haben, und sei es wegen ihrer Religion. Es war wirklich meine gute Absicht, das Schlimmste für die Leute hier zu verhindern, als ich dich hergebracht habe.«
»Aber von deinen anderen Geschwistern wusstest du nichts? Von euren Geschwistern, die gleichzeitig Luises Neffen und Nichten waren? Wenn noch eines davon lebt, sollten wir es finden.«
»Ich mag es nicht, wenn du diese Menschen meine Geschwister nennst. Es klingt obszön. Eine Schuldigkeit ihnen gegenüber mag ich haben, geschwisterliche Gefühle nicht. Luise stößt mich ab. Was habe ich mit ihr gemein?«
»Wenn ich dir nun noch einmal erkläre, warum du nichts mit ihr gemein hast, wirst du mich wieder anfahren. Es ist aber wichtig, dass du darüber nachdenkst, denn an deiner Schuldigkeit gegen sie ändert es einiges.«
Unwillig fegte er mit der Hand ein paar Krümel vom Esstisch. »Nun fängst du wieder davon an. Wenn du also darauf beharren musst, dann erzähl mir jetzt, wie du darauf gekommen bist. Sprich dabei allerdings leise.« Er lehnte sich mit verschränkten Armen stehend an den Tisch und sah sie an, als wäre sie ein Kind, dessen märchenhafte Geschichte er sich aus Gefälligkeit anhören wollte.
Mit beiden Händen richtete sie ihre Haube und schob lose Haarsträhnen darunter, dann ließ sie die Hände fallen und seufzte. »Ich habe Briefe deiner Mutter gelesen. Du musst mir nicht sagen, dass das unrecht war, ich weiß es.«
Verblüfft richtete er sich gerader auf. »Du hast Briefe meiner Mutter gelesen? Für dich allein? Und du hast nicht vielleicht daran gedacht, sie mir zu geben?«
Ada schob einen Finger von unten zwischen Kragen und Hals, ihr war kochend heiß vor Scham. »Gewissermaßen hattest du sie die ganze Zeit. Sie sind in der Spielzeugschachtel in der Truhe. Ich dachte, du würdest sie früher oder später schon finden. Erzählen wollte ich dir zuerst nichts davon, aber dann hast du mich gereizt. Außerdem hat die Sache für mich mehr Bedeutung, als ich im ersten Augenblick dachte. Ich habe nur ein Recht, hier zu sein, wenn ich für die Menschen sorge, die Ludwig von der Wenthe vernachlässigt hat. Dazu gehört Luises Schwester Heinrike und deren Kind, falls es noch lebt.«
Lenz hörte ihr nicht zu; er sah sie an, ohne sie wahrzunehmen. »Hat sie offen geschrieben, dass er nicht mein Vater war? Hat sie geschrieben, wer …? Ich will die Briefe sehen.«
»Es sind Briefe, die Christophers Mutter geschrieben hat. Du musst zwischen den Zeilen lesen, aber dann ist es deutlich. Ich denke, du bist der Sohn von Georg Winter. Er hat deine Mutter geliebt.«
Langsam, wie träumend, griff er sich in den Nacken, zog sein Zopfband fest, strich sich nachdenklich über den Bart. Dann sah er ihr in
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