Herrmann, Elisabeth
Eine von uns?«
Er benutzte diesen Ausdruck nicht, weil er sich dem Dienst verpflichtet
fühlte. Es war einfach die alte Aufteilung in Ost und West, in Gut und Böse.
»Ich glaube ja, ich weiß es nicht. Sie kam damals und brachte Geld für ...
ich dachte, das wüsstest du.«
Quirin beugte sich vor, um Volfram genau ins Visier zu nehmen.
»Ich weiß gar nichts. Und ich war dein Verbindungsführer. Du hättest dich
sofort an mich wenden müssen!«
»Das habe ich doch! Ich habe es versucht. Aber dann hieß es, du wärst
nicht mehr dabei und jemand anderes würde mich übernehmen, aber ich habe nie
wieder was von euch gehört. Bis diese Frau kam.«
»Für wen brachte sie Geld?«
»Für zwei Flüchtlinge. Mutter und Tochter.«
»Wie viel?«
»Hunderttausend.«
»Wofür?«
»Auch das entzieht sich meiner Kenntnis. Ich habe es weitergeleitet.
Zehntausend durfte ich für die Gemeinde behalten. Wir brauchten das Geld. Nach
der Maueröffnung strömten die Leute aus dem Ostblock nur so ins Land. Aber mit
ihren Aluchips kamen sie ja nicht weit.«
Quirin spürte den unbändigen Drang, den Mann am Kragen zu packen und
durchzuschütteln.
»Wie oft war sie hier?«
»Vier, fünf Mal. Zehn Mal. Ich weiß es nicht mehr. Alle ein, zwei Jahre.
Aber das hat schon lange aufgehört. Die Wende ist ja über zwanzig Jahre her.«
»Kam sie immer mit so viel Geld?«
Volfram nickte zögernd. »Sie trug eine Perücke, das hat man auf den ersten
Blick gesehen. Und eine Sonnenbrille. Es war ein bisschen wie in den alten
James-Bond-Filmen. Sie hatte es immer in bar in einem großen Briefumschlag.
Manchmal haben wir noch einen Kaffee getrunken. Ein Mal habe ich sie gefragt,
woher das Geld kam. Da hat sie gelacht und Kollekte gesagt.«
»Und der Zehnte für die Kirche.«
Gillis stand auf und holte Teller aus einem Wandbord. Ihre Hand zitterte, als
sie einen vor Quirin auf den Tisch stellte. Aus einer Schublade holte sie
Besteck und Servietten.
»Du hast das Geld an Irene Borg weitergeleitet. Weiß sie schon, dass ihre
Tochter gestorben ist?«
»Ja.«
»Wo finde ich sie?«
Das alte Ehepaar wechselte einen schnellen Blick. »Sie ist weggezogen«,
sagte Volfram hastig.
»Wohin?«
»Nach Kristianstad, glaube ich.«
Quirin hieb mit der Faust auf den Tisch. Die Teller klapperten, ein
Köttbullar kullerte auf die Wachsdecke mit dem altmodischen Rosenmuster.
Volfram zuckte zusammen.
»Wo ist Irene Borg? Oder die Frau, die mit diesem Namen und unseren
Ausweisen fast dreißig Jahre unbehelligt in Schweden gelebt hat? Zehntausend
Mark! Drei, fünf, zehn Mal! Die habt ihr doch nicht für nichts bekommen! Habt
ihr das Melderegister gefälscht? Die Eintragungen ins Kirchenbuch?«
Gillis setzte sich. Sie strich mit der Hand über ihren Rock, wieder und
wieder.
»Wir haben keinen Cent für uns genommen. Nichts. Immer nur gegeben.«
Tränen traten in ihre Augen. Quirin erstickte das Mitgefühl, das er beim
Anblick der beiden spürte. Er hatte sie gleich so weit. Nur noch eine halbe
Drehung an der Daumenschraube, dann würden sie reden. Er fühlte sich so
schlecht wie schon lange nicht mehr. Wie ein mieses, dreckiges, gottloses
Schwein.
»Ihr bringt Madita in Gefahr, wenn ihr jetzt nicht den Mund aufmacht.«
»Nein!« Gillis schrie beinahe. »Ich habe eine klare Anweisung. Ich darf
die Adresse nur an eine ganz bestimmte Person herausgeben.«
»Welche Adresse? Heißt das, ihr habt sie dem Anrufer verraten?«
Gillis blickte zu Boden. Kaiserley spürte die Unruhe in sich wachsen.
Irgendetwas lief hier falsch. Etwas geschah außerhalb seines Einflussbereichs,
und er spürte plötzlich die Angst, dass er zu spät kommen würde.
»Sie haben Borgs Adresse? Und sie warten dort? Auf wen?«
Er sah Volfram an, der nach der Hand seiner Frau griff. Kaiserley wusste
nicht, wer hier wem Trost und Kraft spendete. »Auf Judith Kepler?«
Gillis nickte. »Ja«, flüsterte sie erstickt. »Es darf keiner erfahren.
Sonst holen sie unsere Kleine. Sie hat sich Russen dafür angeheuert. Die
machen das schon für ein paar hundert Euro.«
Tränen liefen über ihr Gesicht. Volfram hob die Hand und legte sie auf
ihren Oberarm. Er zitterte dabei.
»Wo hat der Mann eure Enkelin abgepasst?«
»Keine zweihundert Meter von hier. An der Ecke Vikingagatan.«
»Wann?«
»Kurz vor fünf.«
Die Zeiger der Küchenuhr standen auf halb sieben. Sie waren hier. Und sie
hatten einen Vorsprung. Sie hatten das Haus beobachtet. Wahrscheinlich wussten
sie sogar, dass er mit
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