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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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auf dem Limhamnsvägen
einreihen.
    »Ich war mal in Italien«, setzte sie hinzu. »Irgendwo am Mittelmeer. Ich
hab vergessen, wie der Ort hieß. Laut und heiß und schreckliche Musik.«
    »Was machen Sie denn im Urlaub?«
    »Alles, was liegengeblieben ist. Ich muss nicht verreisen. Ich finde das
albern. Tausende von Kilometern, und dann sitzt man in einem Hotel, und das
Essen ist schlecht, und das Wetter ist viel zu heiß.«
    Sie zupfte wieder an den Ärmeln ihres Sweatshirts herum. Quirin wusste
mittlerweile, dass sie diese Geste unbewusst einsetzte, wenn Dinge zur Sprache
kamen, die ihr unangenehm waren.
    »Dann kennen Sie ja die Pyramiden gar nicht. Und den Eiffelturm. Die
Niagara-Fälle. Die Altstadt von Granada. Das Grab Friedrich des Staufers im Dom
zu Palermo.«
    Sie starrte aus dem Seitenfenster.
    »Es gibt wirklich gute Studienreisen, auch für Alleinstehende. Man ist in
Gesellschaft und bekommt durch die Reiseleitung...«
    »Ich brauche Ihre Ratschläge nicht!«, fauchte sie. »Wenn ich etwas sehen
will, schaue ich es mir an. Ich hatte bisher keine Lust auf Eiffelturm. Okay?
Können Sie damit leben?«
    Er nickte. Er war ein Idiot.
    Der Wagen bog wieder in die Einbahnstraße ein. Dieses Mal fuhr Quirin
langsamer durch den Köpenhamnsvägen. Die Sankta Anna tauchte auf. Er fuhr
hundert Meter weiter und rollte dann am Straßenrand direkt vor einem
Halteverbotsschild aus. Keine Kameras. Gut. Er sah sich um und richtete den
Rückspiegel auf die Straße hinter ihnen.
    »Ist alles okay?«, fragte Judith.
    »Sieht ganz danach aus. Hundertprozentig kann man das nie sagen. Wir
werden nicht die Einzigen sein, die sich nach so langer Zeit für die Gemeinde
interessieren. Sie ist die erste Anlaufstelle für deutsche Immigranten. Der
Pfarrer war mal einer von uns.«
    »Lasst ihr die Finger noch nicht mal von der Kirche?« Quirin warf einen
letzten Blick zurück. »Warten Sie hier.«
    »Ich denke gar nicht daran!«
    Sie löste den Gurt, aber Quirin hielt ihre Hände fest. Für den Bruchteil
einer Sekunde hatte er das Gefühl, die Berührung würde ihm gefallen. Harte,
schmale Hände.
    »Sie können nicht mit dabei sein, wenn zwei Exagenten miteinander reden.«
    »Bullshit.«
    Er ließ sie los, stieg aus und betätigte die Zentralverriegelung. Judith
schnallte sich ab und wollte ihm folgen, aber sie konnte die Tür nicht mehr
öffnen.
    »He!«, schrie sie und hieb mit der Faust an die Scheibe. »Was soll das?«
    Quirin steckte den Schlüssel in die Hosentasche. »Es ist zu Ihrer eigenen
Sicherheit.«
    »Scheißkerl! Mach auf!«
    »Ich bin gleich wieder da.«
    Er lief im Eiltempo die Straße hinunter zum Pfarrhaus.
     
    Judith rüttelte noch einmal an der Tür, dann gab sie es auf.
Wahrscheinlich war der Wagen eine Spezialanfertigung für Agenten zu Sonderkonditionen.
Die Herrschaften mussten ja schließlich auch öfter mal verreisen.
    Sie suchte den gesamten Innenraum ab, konnte aber nichts finden, was die
Türen entriegelt hätte. Noch nicht einmal die Fenster ließen sich öffnen.
Judith war froh, dass das Auto im Schatten stand. Sie würde ihm genau dreißig
Minuten geben, dann war die Seitenscheibe ein Fall für die Vollkasko.
    Sie drehte den Rückspiegel in ihre Richtung und beobachtete die Straße.
Eine Frau führte ihren Hund aus, einen riesigen Dobermann. Beim Anblick des
Tieres kroch Panik in Judith hoch. Sie bemühte sich, ruhig zu atmen. Die Frau
wechselte die Straßenseite und verschwand aus Judiths Blick.
    Du bist hysterisch, dachte sie. Du verwandelst dich Schritt für Schritt in
einen Waschlappen. Borg war nicht so. Borg war mutig. Sie hat gefragt und
gebohrt und sich nicht ins Bockshorn jagen lassen. Plötzlich schämte sie sich.
Sie haben dich einfach gelöscht, und du hast es zugelassen. Versager.
    Die Seitenscheibe zersplitterte mit einem Knall. Judith riss die Arme hoch
und sah aus den Augenwinkeln für den Bruchteil einer Sekunde durch das
brechende Kristall einen Baseballschläger niederfahren. Die Alarmanlage jaulte
los. Glasbrocken und -körner prasselten auf sie. Der zweite Schlag traf ihren
Ellenbogen. Sie schrie auf vor Schmerz und krümmte sich zusammen. Den dritten
Schlag konnte sie mit ihren verletzten Händen nicht mehr richtig abwehren. Ein
Feuerwerk explodierte direkt hinter ihrer Stirn. Den Stich spürte sie kaum
noch. Aber dann kam die Wärme, die sich in ihr ausbreitete. Eine gewaltige,
unendlich hohe Welle, die sie mitnahm nach oben und hochhob, weit hinauf,
unaufhaltsam, dem

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