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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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dem
Dachboden. Vielleicht würdest du eines Tages wiederkommen, habe ich gedacht.
Nie ... nie wieder hab ich was gehört von dir, seit der Wende ... Und dann kam
die andere ... und sie wollte dich finden. Da bin ich noch mal zurück in dieses
Haus ... Natürlich haben sie mich erwischt.«
    Sie zwinkerte Judith leicht zu. »Hab so getan, als wäre ich durchgedreht.
Dabei ist alles richtig hier oben. Alles richtig.« Sie wollte sich mit dem
Finger an die Stirn tippen, aber sie war zu schwach. »Seitdem bin ich krank.
Bekomme Medikamente ... Bin so müde. So müde.«
    Ihr Kopf fiel leicht zur Seite.
    »Frau Jonas? Frau Jonas! Martha, bitte, schlafen Sie nicht ein!«
    Judith tätschelte die Wangen der Erzieherin. Tränen liefen über ihr
Gesicht, aber sie blinzelte nicht, wischte sie nicht weg. Dazu war keine Zeit,
denn sie musste die alte Frau zum Sprechen bringen.
    »Martha! Martha, ich war ...«
    Das heulende Elend hatte sie wieder. Der Keller, die Schläge und ein
Versprechen, das ihr diese Frau gegeben hatte, auch wenn es eine Lüge gewesen
war. Ein Schrei in ihr wollte heraus, doch er klemmte fest und drückte ihr fast
den Atem ab.
    »Ich war immer brav, Martha. Immer. Aber meine Mutter ist nicht
wiedergekommen. Ist sie ... was ist mit ihr passiert?«
    »Du musst weg«, flüsterte die alte Frau. »Niemand hat reagiert. Keiner
hat geholfen. Also habe ich dich ausradiert aus deinem Kopf, so lange, bis dein
neuer Name und dein neues Leben da drinnen fest verankert waren. Ich musste
dich löschen, um dich zu schützen. Komplett löschen. Delete.«
    Judith hob den Kopf. Sie hörte Schritte auf dem Gang, und es waren nicht
die leisen Sohlen der Schwester. Martha Jonas' Augen weiteten sich. Es war die
nackte Angst, die plötzlich ihre Züge verzerrte.
    »Zu spät«, sagte sie. »Zu spät. Jetzt holen sie dich.«
     
    Teetee saß vor seinem Toughbook, mit dem er in der Wüste genauso gut
arbeiten konnte wie am Nordpol, und stellte die Verbindung zu seinem Rechner
in der BND-Zentrale her. Von Judith Kepler gab es nichts Neues.
    Die Geschichte hatte ihn berührt. Kaiserley waren drei Menschen vom Radar
verschwunden. Schon das würde jeden in ein so tiefes Karriereloch befördern,
dass er nie mehr das Licht der Sonne sah. Dann tauchte nach so langer Zeit eine
geheimnisvolle Unbekannte auf und bot etwas an, das plötzlich für eine Menge
Leute wichtig war. Die uralten Mikrofilme, und dieses Mal endlich komplett.
Die Frau wurde ermordet, die Filme blieben verschwunden. Und in diesem
Fadenkreuz der Interessen verhedderte sich ausgerechnet eine Putzfrau, die
mehr wusste, als sie wissen durfte.
    Rosenholz. Rose wood.
    Teetee blickte zu Kaiserley, der auf dem Balkon stand und auf die
Baustelle hinuntersah, die Teetee schon seit Wochen jeden Morgen um sechs aus
den Federn trieb. Weiß der Teufel, was ihn geritten hatte, den Mann
mitzunehmen. Vielleicht, dass er so müde ausgesehen hatte. Teetee hatte ihn als
einen Kämpfer in Erinnerung. Ein Kämpfer, der hoch erhobenen Hauptes in seine
Niederlagen marschierte. Sie hatten sich Jahre nicht gesehen. Plötzlich
beschlich Teetee eine Ahnung davon, wie zermürbend die Zeit, das Alter und der
Misserfolg an einem Menschen arbeiten konnten.
    Er stand auf und ging nach draußen.
    »Sassnitz«, sagte er. »Kinder- und Erziehungsheim Juri Gagarin. Es gab da
eine Judith Kepler. Sie war zehn Jahre dort und geriet dann auf die schiefe
Bahn. Minderjährig aufgegriffen, Diebstahl, Junkie, das ganze Programm. Ich
schätze, sie lügt, sobald sie den Mund aufmacht. Sie wird dich bei der
Westerhoff gesehen haben und will sich wichtigmachen.«
    »Wo ist sie?«
    »Sie wohnt in Marzahn, Marzahner Promenade 31. Sie war pünktlich bei der Arbeit und hat ebenso pünktlich den Hammer
fallen lassen. Wahrscheinlich zieht sie um die Häuser und macht Party.«
    »Handynummer?«
    »Hier.«
    Er reichte Kaiserley den Zettel. Während dieser hastig die Nummer wählte,
pflückte Teetee ein verdorrtes Blatt aus seiner ramponierten Balkonbepflanzung.
Er kam einfach nicht oft genug zum Gießen. Kaiserley kehrte zurück ins Zimmer.
Er ging ungeduldig hin und her und steckte sein Handy schließlich resigniert
wieder ein. Da entdeckte er das eingescannte Foto von Judith auf Teetees
Bildschirm.
    »Das ist mit einer eurer Units aufgenommen.«
    Teetee blieb im Türrahmen stehen.
    »So what?«
    »Die Polizei in Berlin hat auch ein Exemplar.«
    Teetee stieß sich vom Rahmen ab und kam näher.
    »Wo sind eure Aufzeichnungen? Ihr

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