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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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schließlich den grünen Park mit seinen
hohen, alten Bäumen und der Backsteinkirche.
    Sie stellte den Wagen direkt vor der Einfahrt ab. Das Tor war noch offen.
Einlass im Sommer bis Sonnenuntergang. Sie holte den Schmiedehammer hinten aus
dem Wagen, es war ihr egal, dass das Blut schon die Verbände durchtränkt hatte
und das Kleid in Fetzen an ihr hing. Ein älteres Ehepaar kam ihr entgegen. Der
Mann nahm seine Frau hastig zur Seite und sah Judith nach.
    Auf den Gräbern blühten bunte Blumen, Wind spielte in den Trauerweiden.
Judith lief weiter. Sie achtete nicht auf die späten Besucher, die ihre Gießkanne
absetzten und sich aufrichteten, als sie an ihnen vorüberging. Sie hatte nur
die Mauer am andere Ende des Friedhofs im Blick, den schmalen Rasenstreifen
davor und die kleinen, viereckigen Platten aus schwarzem Granit. Sie wandte
sich nach links, blieb vor der drittletzten stehen, hob den Hammer und schlug
zu. Der Aufprall war so laut wie ein Schuss. Sie holte erneut aus, als wollte
sie die Erde spalten. Der Hammer knallte auf den Stein. Wieder und wieder. Die
Platte zersprang. Kleine Splitter platzten ab. Judith keuchte vor Anstrengung,
die Mauer trug das Echo der Schläge über die Gräber. Das M zerbarst. Dann das
K. Jemand schrie, sie solle aufhören. Aber das wollte sie nicht. Sie wollte
weitermachen, bis von diesem Stein nichts mehr übrig war. Sie wollte ihn
pulverisieren, vernichten, ausradieren. Das schwere Eisen zertrümmerte die
Buchstaben, einen nach dem anderen, zermalmte die Zahlen, unwichtig. Geburtsdatum,
Todesdatum, unwichtig. Name, unwichtig. Alles unwichtig. Der Stein war ein
Stein, und er war eine Lüge. Und Lügen musste man zerschlagen.
     
    *
     
    Quirin Kaiserley erreichte den Flughafen Franz Josef Strauß in Erding
gerade noch rechtzeitig, bevor der Check-in schloss. Gegen halb elf würde er
in Berlin eintreffen.
    Mittlerweile wussten Polizei, BND und Verfassungsschutz von Judith Kepler.
Dombrowski, dieser Scheißkerl von einem Chef, mauerte. Egal, wohin er kam, es
war wie bei Hase und Igel: Jemand sprang aus dem Gebüsch und war schon vorher
da.
    Quirin kaufte sich eine Zeitung, die er sowieso nicht lesen würde, und
machte sich auf den Weg zum Gate. Die Reise nach München hatte nicht viel
gebracht. Mehr noch: Sie hatte gezeigt, dass er und der Junge sich nicht viel
zu sagen hatten. Quirin schnaubte. Junge war gut. Teetee war erwachsen und lief
immer noch mit Baseballcap und Turnschuhen herum. In dem Alter hatte Quirin
längst Familie gehabt. Hatte Verantwortung übernommen. War davon überzeugt
gewesen, das Richtige zu tun. Er hatte Teetee in die Firma geholt, nach einem
mäßigen Abitur und viel gutem Zureden. Ob er dafür jemals ein Danke hören
würde? Vielleicht lagen die Gründe für ihr Zerwürfnis ja tiefer, als er bisher
angenommen hatte.
    Er erreichte das Gate. Die Bodenstewardess hatte schon das Mikrophon in
der Hand, um ihn auszurufen. Ihr Lächeln war gestresst.
    »Herr Kaiserley?«
    Quirin reichte ihr die Bordkarte. Er wollte sein Handy gerade ausschalten,
da sah er, dass Teetee versucht hatte, ihn zu erreichen. Er bekam den
abgerissenen Abschnitt zurück, ging durch das Gate und wählte.
    »Das Handy müssen Sie ausmachen.«
    »Sofort.«
    Sie schloss das Gate mit einem dicken Seil. Quirin lief die Gangway
entlang. »Ja?«
    Musik im Hintergrund, Quirin glaubte, ein paar Takte von ZZ Tops Legs zu erkennen.
    »Ich bin's. Du hast angerufen?«
    »Es gibt Neuigkeiten. Und ich gebe dir Zeit bis morgen früh um acht. Keine
Sekunde länger.«
    Die Gangway machte einen Knick. Quirin sah eine Stewardess am Eingang
stehen und ungeduldig auf ihn warten.
    »Was ist passiert?«
    Die Flugbegleiterin stellte sich ihm in den Weg. »Bitte machen Sie Ihr
Handy aus.«
    »Deine Putzfrau wurde festgenommen. Vandalismus, Sachbeschädigung und ...
ähm ... ein weiterer Tatbestand nach Paragraph 168 Strafgesetzbuch.«
    »Ihr Handy!«
    »Was für ein Paragraph?«
    »Hören Sie nicht? Sie können nicht an Bord!«
    Teetee gab ein Geräusch von sich, das verzerrt durch das Mikrophon nur
entfernt einem Lachen ähnelte. Quirin machte eine Handbewegung, die der
Hysterikerin zeigen sollte, dass er sie verstanden hatte und ihren Anweisungen
folgen würde. Gleich.
    »Störung der Totenruhe.«
    »Was? Ich verstehe nicht.«
    »Ich auch nicht. Aber das ist bei dieser Frau ja wohl nichts Neues. Sie
wurde festgenommen, ist dann aber auf der Polizeiwache abgehauen.«
    »Wo?«
    »Du wirst es nicht

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