Herrmann, Elisabeth
glauben.«
Die Stewardess folgte ihm durch die Reihen. Die Passagiere warfen ihm
neugierige, ungeduldige, ärgerliche Blicke zu.
»Judith Kepler ist in Sassnitz. Komisch, was? Das ist der eine Grund,
weshalb ich überhaupt mit dir rede. Der zweite ist, dass jetzt tatsächlich eine
Fahndung nach ihr läuft. In genau zehn Stunden weiß das auch Kellermann. Mehr
kann ich für dich nicht rausholen.«
»Danke.«
»Vergiss es. Und noch was.«
»Ja?«
»Ruf mich nie wieder an.«
Teetee legte auf. Quirin drehte sich zu der Stewardess um, drückte einen
Knopf auf seinem Handy und hielt es ihr unter die Nase.
»Es ist aus. Sehen Sie? Es ist aus!«
Sie drehte sich auf dem Absatz um und tat so, als würde sie die
geschlossenen Sicherheitsgurte überprüfen.
Gut eine Stunde später hob Quirin in Tegel am Geldautomaten eintausend
Euro ab, die höchste Summe, die er mit seiner EC-Karte bekommen konnte. Er
löste sein Auto aus und fädelte sich direkt auf die Autobahn Richtung Hamburg -
Prenzlau ein. Er musste vorsichtig sein. An einer Tankstelle in der Nähe von
Greifswald zahlte er in bar, trank einen Kaffee und sah sich auf einer Karte
die Strecke an, die noch vor ihm lag. Stralsund. Rügendamm. Bergen. Sassnitz.
Er erreichte die Stadt um kurz vor zwei Uhr nachts. Er hatte noch sechs
Stunden Zeit, Judith Kepler zu finden. Eine Frau, die nicht nur die Ruhe der
Lebenden störte, sondern auch die der Toten. Quirin wusste nicht, was in diesem
Fall gefährlicher war.
Kellermann schloss die Tür zu seinem Reihenendhaus auf und lauschte. Ihn
empfingen Dunkelheit und Stille. Eva lag schon im Bett. Es war das Ergebnis
einer schleichenden Entwicklung, über Jahre hinweg ohne einen konkreten Anlass.
Kellermann hatte nie nach dem Warum gefragt. Vielleicht, weil ihnen eine
Antwort auch nicht weiterhelfen würde. Er liebte seine Arbeit. Er liebte auch
Eva, aber wenn man ihm die Pistole auf die Brust gesetzt und ihn gezwungen
hätte, sich für eins von beidem zu entscheiden, würde er wohl seinen Beruf
wählen.
Es hatte eine Zeit gegeben, in der das anders gewesen war. Er wusste nicht,
was er mehr bedauerte. Dass sie vorüber war, oder dass er mit der Gegenwart so
erstaunlich gut zurechtkam.
Er legte die Aktentasche auf der Telefonbank im Flur ab und ging leise ins
Wohnzimmer. Auf dem Couchtisch stand ein mit Frischhaltefolie abgedeckter
Teller mit Leberwurstbroten. Zumindest diese Art von Fürsorge war geblieben.
Etwas an dieser Geste rührte ihn. Er kannte Galadinners und vertrauliche Mittagessen
in Drei-Sterne-Restaurants. Er hatte Schokolade von Angelinas Bauch geleckt und
in der Uliza Twerskaja 17 in Moskau den Kaviar löffelweise in sich hineingeschaufelt, bevor ihm
gleich drei Damen als Geschenk des Hauses - oder seines Gastgebers - alle
Wünsche von den Lippen abgelesen hatten. Er kannte die Gurkensandwiches von
Schloss Bellevue und die Mittagskarte im Bundeskanzleramt. Aber einen Teller
mit Leberwurstbroten gab es nur zu Hause.
Kellermann nahm ihn, trug ihn in die Küche und stellte ihn in den
Kühlschrank. Er holte Eis aus dem Gefrierfach, drückte ein paar Würfel in ein
Glas und ging damit zurück ins Wohnzimmer. Aus der Hausbar nahm er sich eine
Flasche Wodka und zog sich aufs Sofa zurück. Dann nahm er sein Smartphone aus
der Jackentasche, das über einige spezielle Tools verfügte, die man nicht im
App-Store kaufen konnte. Zumindest nicht für zwanzig Euro, dachte Kellermann.
Dafür müssten die Kollegen im Irak schon eine Menge mehr auf den Tisch legen.
Es war beispielsweise mit einer backdoor zu Teetees Toughbook ausgerüstet, die anders als ein Trojaner keine
Einschleusung brauchte. Dieses Detail wurde gleich mitgeliefert.
Das Toughbook war nichts weiter als eine Durchlaufstation der Daten, die
Kellermann sich jederzeit in aller Ruhe abrufen konnte. Kellermann
interessierte sich für die Ergebnisse von Teetees Rechercheauftrag. Judith
Kepler, die Putzfrau. Sie kannte Kaiserley. Es war nur eine Frage der Zeit, bis
Teetee das herausfinden würde. Und deshalb war Kellermann nicht nur auf das
gespannt, was Teetee ihm mitteilen, sondern auch auf das, was er ihm
verschweigen würde. Das war es, was ihn wirklich interessierte.
Kellermann schaute kurz hoch. Die Tür zum Flur stand offen. Er wollte
nicht, dass Eva ihn überraschte. Das war schon einmal passiert. Er hatte sich
die Aufzeichnungen von Borgs Ermordung angesehen, wieder und wieder. Er hatte
versucht, die Stimme zu erkennen und irgendetwas an dieser
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