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Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Titel: Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Magnus Enzensberger
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seien Theoretiker, sagteZ., auch diejenigen, die nichts davon wüßten. Der sogenannte Tatmensch zum Beispiel behaupte gewöhnlich mit einem gewissen Stolz, daß er von abstrakten Ideen nichts halte. Er merke nicht, daß er Theorien anhänge, die so alt wie die Welt seien.
    Dennoch solle man ernst nehmen, was der Banause damit sagen wolle. Denn das Verhältnis von Theorie und Praxis sei verwickelter, als es scheine. Wer beim Gehen jeden Schritt theoretisch analysieren wollte, käme nie voran, weil die dazu erforderlichen Berechnungen derart kompliziert seien, daß ihnen selbst ein Diplom-Ingenieur kaum gewachsen wäre. Ähnlich verhalte es sich mit vielen anderen Tätigkeiten, etwa mit dem Zweikampf, dem Beischlaf und dem Dichten. Vorher und nachher sei die theoretische Reflexion nicht nur hilfreich, sondern unvermeidlich; während der Tathandlung dagegen sei sie absolut hinderlich.

83 Einmal rief Z. uns zu: »Einen Hauch von sprezzatura , wenn ich bitten darf!«, ohne Rücksicht darauf, daß die meisten mitsolchen Fremdwörtern nichts anfangen konnten. Um sie zu beruhigen, setzte er hinzu: »Keine Sorge. Es genügt, zu wissen, daß auch das Anstrengende nicht mühsam, sondern stets leichtfüßig daherkommen sollte.« Selbst der schwerste Neufundländer sei unsereinem an Anmut überlegen; denn er könne sein Gewicht auf vier Pfoten verteilen. Daran zeige sich, daß auch der berühmte aufrechte Gang nicht gratis zu haben sei.

84 »Nicht wahr«, fragte uns Z., »ohne das Wort nicht kommen wir nicht aus, obschon es nur ein Partikel ist, das sich in unsere Sätze einschleicht? Auch wenn es wie ein Kobold in der Grammatik herumtobt, verstehen wir doch, was gemeint ist. Schlimm wird es erst, wenn, wie ein Pickel, mir nicht s , dir nicht s ein kleines s hervorsprießt, ein metaphysischer Mitesser, der zur Herrschsucht neigt.
    Aber was bedeutet Nichts ? Seit diese Frage überhandnahm, haben sich Theologen und Philosophen an ihr die Zähne ausgebissen. Man könnte sogar sagen, daß sie durchihr Grübeln die Sache noch schlimmer gemacht haben, indem sie diese sonderbare Silbe, die gar nicht deklinierbar ist, zum Substantiv erhoben. Seitdem geistert Das Nichts durch unsere Sprache, ein Wort, vor dem ich Sie nur warnen kann.
    Schon der erste Philosoph der Griechen hat uns angefleht, nicht in diese Falle zu tappen. Vom Nichts, sagte Parmenides, der Eleat, sollten wir die Finger lassen, nicht von ihm handeln, es nicht bedenken und nicht von ihm reden. Natürlich hat sich niemand an diesen Rat gehalten. Charles de Bouvelles,
ein Mathematiker, hat im sechzehnten Jahrhundert ein geistreiches und verrücktes Buch darüber verfaßt, das er Libellus de nihilo nannte. Den Vogel schoß freilich, wie so oft, Hegel ab, indem er feststellte: ›Das reine Sein und das reine Nichts ist also dasselbe.‹ Andere haben sich darüber gestritten, was der folgende Satz bedeutet: Einer behauptet: ›Nichts existiert‹, und sofort schleudert ihm ein anderer entgegen: ›DAS Nichts existiert.‹ Und schon geraten die beiden sich in die Haare.«

85 Weniger gewissenhaft gehe es in den einstmals so genannten exakten Wissenschaften zu. Ein amerikanischer Physiker sei unlängst mit einem Bestseller hervorgetreten, der schon im Titel A Universe From Nothing verspreche. Das Quantenvakuum sei eben ein instabiles Nichts, aus dem allerhand hervorgehe, zum Beispiel der Raum, die Zeit, die Materie, die Energie und so fort, bis zum letzten Manschettenknopf. Damit habe der Verfasser die Warnungen des Parmenides endgültig in den Wind geschlagen. Das aber, schloß Z., mache entweder nichts, oder auch Nichts, oder sogar schlechthin Das Nichts.

86 Was es an Geburtstagen zu feiern gebe, verstehe er nicht, sagte Z. Allenfalls sei die Mutter zu beglückwünschen, die sich zu jenem Datum einer schweren Last entledigt habe. Auf Blumensträuße könne man aus diesem Anlaß getrost verzichten. Die meisten Rosen würden, wie die Schweine, nurgezüchtet, um sie umzubringen.

87 Es genüge ihm, wenn er selbst aufmerksam sei, bemerkte Z. Die Anwesenden nehme er jedoch gerne in Schutz, wenn sie es daran fehlen ließen: »Und wenn euch schläfert, so daß euch mitten im Hosanna der Hohen Messe in h-moll die Augen zufallen? Nur ein Unmensch könnte euch daraus einen Vorwurf machen.«

88 Wer außer Händlern und Ökonomen könnte auf die Idee verfallen sein, daß es zwischen Angebot und Nachfrage jemals zu einem Ausgleich käme? Alle andern wüßten doch, sagte Z., daß die

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