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Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Titel: Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Magnus Enzensberger
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schon die Harmlosigkeit unserer Unterhaltungen spricht gegen einen solchen Verdacht. Wer hier Geheimnisse suchen wollte, wäre noch dümmer als jeder Geheimdienst der Welt.Glauben Sie im Ernst, wir wären wichtig genug, einen solchen Aufwand zu rechtfertigen?«
    »Und warum gibt es dann Leute unter uns, die sich Notizen machen? Ich kann das bezeugen.«
    »Schmeichelhaft genug, wenn sich jemand diese Mühe macht. Ich hoffe, niemand hier treibt die Eitelkeit so weit, sich mit Konfuzius oder den Vorsokratikern zu vergleichen, von denen übrigens auch nur zweifelhafte Fragmente überliefert sind. Von Ihrem Argwohn bis zum Verfolgungswahn ist es nur ein kleiner Schritt. An Ihrer Stelle würde ich die Gerüchte auf sich beruhen lassen. Die Paranoia ist ungesund. Sie kann friedliche Menschen in eine Meute verwandeln, und daran ist Ihnen gewiß nicht gelegen.«
    Die sanfte Zurechtweisung mißfiel dem Soziologen. Als ihm auch noch der brüderliche Alkoholiker seine Wermutflasche anbot, suchte er das Weite und erschien fürs erste nicht wieder.

99 »Es kommt vor«, sagte Z. zur gewohnten Stunde, »daß uns auf der Straße oder am Telephon irgendwelche Leute ganz ungeniert nach unserer Meinung fragen. Sie berufen sich auf unsere gesetzlich garantierte Freiheit, diese zu äußern, tun aber so, als ginge es dabei nicht um ein Recht, sondern um eine Pflicht.« Man tue gut daran, solchen Wegelagerern den Rücken zu kehren. Es gebe ohnehin bereits zu viele Meinungen. Wer die seinige von sich gebe, trage zu einer unappetitlichen Umweltverschmutzung bei. Schon aus hygienischen Gründen wechsle er, Z., seine Meinungen öfter als sein Hemd. Sobald sich an ihnen die ersten schwarzen Ränder zeigten, gebe er sie in die Wäsche.

100 Haltbarer als Meinungen seien Argumente; die ließen sich immerhin angreifen und verteidigen, was unterhaltsam sei und die Gehirntätigkeit fördere. Am festesten sitze meistens das, was einer hege, nämlich seine Überzeugungen. Er rate nicht dazu, sie preiszugeben; es sei besser, sie so lange wie möglich für sich zu behalten.
    Was er mit alledem sagen wolle, habe niemand besser ausgedrückt als Daniel Patrick Moynihan, ein amerikanischer Senator, mit der folgenden Maxime: »Everybody is entitled to his own opinion, but not to his own facts.«

101 »Stellen Sie sich vor«, sagte Z., »Sie wären ein alteuropäischer Jäger, der mit seinem Speer einen Hirsch erlegt. Was wird er mit seiner Beute machen? Er tranchiert sie und verteilt das Fleisch unter seinem Clan. Auch den Balg kann er verwenden. Nur das Geweih bleibt übrig. Vielleicht waren seinerzeit Schnallen oder Knöpfe schon erfunden. Die lassen sich aus dem Gehörn schnitzen. Aber immer noch bleibt ein Rest. Der Jäger raspelt ihn klein. Das Pulver schmeckt abscheulich. Nun kommt er auf die Idee, es zu erhitzen. Schon besser! Das Salz riecht nicht schlecht. Seine Frau hat einen Fladenteig angerührt. Zufällig gerät eine Prise Hirschhornsalz in den Teig, und der Teig geht auf. In diesem Moment war das Backpulver erfunden.
    Das bedeutet, daß Menschen alles, was überhaupt ausprobiert werden kann, und sei es noch so abwegig, irgendwann einmal ausprobieren. Es gibt nichts, wovor sie dabei zurückschrecken.«

102 Ein paar tausend Jahre später war, wie Z. es sah, Dr Samuel Hahnemann unzufrieden mit der damals herrschenden medizinischen Lehrmeinung. Vielleicht, dachte er, sollte man sich an Paracelsus halten und similia similibus ,das heißt Gleiches mit Gleichem, heilen? Das käme auf den Versuch an. Trial, and error würden es erweisen. »Es mag unwahrscheinlich klingen, aber seine Schüler ruhten nicht, bis sie heute Mittel aus 1400 Ausgangsstoffen liefern können, darunter die Blausäure, das Benzin, die Bettwanze, den Flußkrebs, das Quecksilber und die Kreuzspinne.«
    Man könne einer Spezies, die solche Einfälle hat, schloß Z., seinen Respekt nicht versagen.

103 Über die Energie sagte Z., es herrsche daran kein Mangel, sie werde nur allzu üppig verwendet. Bei uns stieß diese Behauptung auf Unbehagen. Wir fürchteten, daß Z. eine längere Litanei zu diesem Thema im Sinn hatte. Die fing mit der Vermutung an, daß sich die meisten Transportprobleme lösen ließen, indem man zu Fuß ginge. Der Energieeinsatz sei überschaubar. Ihm persönlich würden ein Croissant, ein Ei und eine Birne zum Frühstück genügen, um voranzukommen.

104 »Jeder von euch«, so setzte Z. seine Ausführungen fort, »kennt die Namen der Herrn Watt, Benz und Otto.

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