Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)
tatsächlich seinen verbeulten Hut.
116 Ein anderes Mal wollte Z. wissen, ob es unter den Anwesenden jemanden gebe, der links oder rechts sei.
Niemand war bereit, diese Frage zu beantworten.
»Das freut mich«, sagte Z. »Denn diese ebenso beliebte wie bejahrte Unterscheidung erfreut nur Menschen, die eine schlichte politische Perspektive bevorzugen. Dabei sehen sie gewöhnlich von sich selber ab. Sonst würden sie nämlich entdecken, daß sie, ohne es zu merken, ›links‹ und ›rechts‹ zugleich sind. Der hundertprozentige Progressive ist, wie sein konservativer Bruder, ein Phantom. Wer seine eigene mentale politische Landkarte zu Gesicht bekäme, würde feststellen, daß sie scheckig ausfiele wie ein Flickenteppich. Schließlich schätzt auch der Avantgarde-Architekt seine gemütliche Altbauwohnung mit dem Biedermeier-Sekretär, und der grundsolide Wurstfabrikant preist privat die innovativeMolekularküche.«
Unser kritischer Philosoph gab sich damit nicht zufrieden: »Aber warum kommt Ihre imaginäre Landkarte mit nur zwei Farben aus? Sie vergessen die exzentrischen Kleckse, die weißen Tüpfel, die Leerstellen der Ignoranz. Vor allem aber übersehen Sie die Grauwerte der Gleichgültigkeit!«
»Da haben Sie recht«, räumte Z. ein. »Das sind immer die ausgedehntesten Regionen auf der mentalen Karte.«
117 »Für die Entfremdung sollte man ein gutes Wort einlegen«, sagte Z. »Ich bin nicht der erste, der dafür eintritt. Unter ihr zu leiden scheint mir ein Luxus zu sein, den wir uns nicht leisten können. Sicherlich greifen auch Sie sich zuweilen an den Kopf, wenn Sie sich einem Gemeinschaftserlebnis aussetzen. Schon die Betrachtung einer beliebigen Talkshow genügt. Sie werden feststellen, daß es Leute gibt, die im Studio auf Befehl lachen. Oder denken Sie an ein Pop-Konzert, bei dem alle im selben Moment dieArme hochwerfen, als lebten sie in Nordkorea und müßten den hundertsten Geburtstag ihres Diktators feiern.
Das Gefühl, auf dem falschen Dampfer zu sein, ist in solchen Fällen nicht nur unvermeidlich, sondern auch willkommen.«
118 Einige, die auf ein längeres Verweilen gefaßt waren, hatten aus einer Currywurst-Bude ihren Proviant mitgebracht. Ein junges Mädchen bot Z. ein Sandwich an, das er höflich ablehnte. Sie fragte ihn, ob er heikel sei.
»Das kann ich nicht leugnen«, antwortete Z. »Aber mit Verwöhntheit sollten Sie das nicht verwechseln. Es bedeutet nur, daß ich meiner Zunge, meiner Nase und meinem Magen traue, also dem, was die Natur uns allen mitgegeben hat. Jede Kuh weiß, welches Kraut ihr bekommt und welches sie besser meidet. Das ist eine angeborene Wissenschaft, die nicht in den Büchern steht. Niemand muß alles herunterwürgen, was die Gesellschaft uns vorsetzt.
Sie würden irren, wenn Sie dächten, dabei ginge es nur um das Essen.«
119 Mit Huldigungen, sagte Z., ohne daß ihn jemand danach gefragt hätte, könne man gar nicht sparsam genug umgehen. Statt sie denen darzubringen, die vulgär genug seien, nach ihnen zu gieren, müßten sie einer geliebten Person vorbehalten bleiben. In der öffentlichen Sphäre hätten sie nichts zu suchen. Nur in camera oder, noch besser, in pectore seien sie wirklich angebracht.
120 Z. war aufgefallen, daß er immer wieder zum unfreiwilligen Zeugen von Leuten wurde, die gerne von ihren Zweierbeziehungen sprachen.
»Ich vermute«, sagte er, »daß dieser Ausdruck aus dem Wortschatz der Elektrotechnik stammt. Dort kann jeder Kontakt dazu dienen, eine beliebige Zahl von weiteren Kontakten herzustellen, ohne daß der Stromfluß darunter leidet. Daß das auch für erotische Verbindungen gilt, bezweifle ich. Schon bei einer ménage à trois ist mit Konflikten zu rechnen.«
Sich darüber hinaus eine 32er-Beziehung vorzustellen wolle ihm nicht gelingen.
121 Eines Tages warteten wir am gewohnten Ort vergebens auf Z.
»Ich fürchte, lange wird er uns nicht mehr ertragen«, sagte einer; vielleicht war es der Zoologe, der uns über die Fähigkeiten der Fledermäuse und der Delphine aufgeklärt hatte. »Und umgekehrt!« rief ein anderer, den wir aber rasch zum Schweigen brachten.
Als Z. endlich erschien, nahm er unsere Kritik vorweg: »Eure vorwurfsvollen Blicke sagen mir genug. Ihr möchtet offenbar, daß ich an eurer Stelle dächte.«
Er sei aber zu faul, um zu tun, was man von ihm erwarte.
122 Nach einer Weile fragte ein Ungeduldiger Z., ob es ihm die Rede verschlagen habe. Wie hätte er darauf reagieren können, ohne sich eine
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