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Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Titel: Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Magnus Enzensberger
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Ignoranz. Ich hoffe, daß mir niemand gram ist, wenn ich sie aufsetze.«
    Unser Soziologe setzte zu einer Entgegnung an, aber weil kaum jemand unter den Anwesenden von Derrida gehört hatte, verlief sein Protest im Sande.

112 Die bemannte Raumfahrt komme ihm blöde vor, sagte Z. Sie sei überaus anstrengend, langweilig und wissenschaftlich unergiebig. Der absurde Aufwand diene nur der Propaganda. Schon wie die Astronauten in ihren grotesk aufgeblasenen Anzügen auf ihren Stationen herumhampelten, finde er peinlich, von ihren Körperfunktionen ganz zu schweigen. Da, wo sie wie überforderte Käfer unbeholfen aus ihren Maschinen torkeln müßten, gehörten Menschen einfach nicht hin.

113 »Nein«, erklärte Z., als die Rede auf die grenzenlose Geldgier der Manager kam, »dabei geht es keineswegs um die Höhe des Kontostandes. Diese Leute brauchen längst kein Geld mehr. Sie sind einzig und allein mit ihrem Status beschäftigt. Sie sinnen darüber nach, wer von ihnen auf der Gehaltsliste weiter oben steht als sie selbst. In der Logik der Umverteilung würde es gar nichts bringen, sie höher zu besteuern. Selbst wenn das gelänge, was unwahrscheinlich ist, so käme dabei für jeden Bedürftigen nur ein Trinkgeld heraus. Die Empörung über hohe und unverdiente Einkünfte ist moralisch verständlich, aber nennenswerte ökonomische oder soziale Wirkungen folgen daraus nicht. Vielleicht sollten wir sie einfach ihrem Reichtum überlassen, diese Deppen, die darauf angewiesen sind, die größte Yacht im Hafen zu haben.«

114 In manchen Parteigremien heißt es, dem einen oder anderen Kandidaten fehle der richtige Stallgeruch. Z. sagte, diese Bezeichnung werde zu Unrecht auf die Landwirtschaft zurückgeführt; denn jeder Bauer ziehe dem Aroma der Gremien die Duftnote eines Misthaufens vor.

115 Die kleinsten Wörter, behauptete Z., seien die wichtigsten. Ohne Ausdrücke wie Triphenylphosphin und Zopfklassifizierung könne man zur Not auskommen, aber ohne ich und du gehe es nicht.
    »Diese Pronomina kommen unscheinbar daher, doch sind sie voller Tücken. Wer sind zum Beispiel wir ? Was sagen Sie?«
    » Wir , das sind im Moment alle, die nichts Besseres zu tun haben, als Ihnen zuzuhören«, sagte unser nimmermüder Student.
    »Es könnten aber auch alle Bewohner dieser Stadt oder unseres kleinen Landes gemeint sein, wenn nicht gar die ganze Spezies.«
    »Das kommt darauf an, ob Sie die inklusive oder die exklusive Form der ersten Person Plural im Sinn haben.«
    »Das zu unterscheiden fällt nicht immer leicht. Noch undurchsichtiger geht es zu, wenn das Wort sie im Plural fällt. Ich erinnere mich an ein polnisches Buch aus den 1980er Jahren, das den lapidaren Titel Oni trägt. Das heißt auf deutsch soviel wie Sie . Die Autorin, leider habe ich ihren Namen vergessen, verstand darunter die stalinistische Nomenklatura, die sie ins Gebet nahm. Ihre Interviews führten diese verflossenen Parteigrößen vor, mit bemerkenswertem Erfolg.«
    »Aber was geht uns das an? Diese Überbleibsel interessieren uns nicht mehr.«
    »Glücklicherweise. Aber sagen Sie mir bitte, von wem in den folgenden Sätzen die Rede ist?
    ›Jetzt haben sie auch noch die 40-Watt-Birnen verboten.‹
    ›Im Fernsehen haben sie gesagt, daß es morgen regnen wird.‹«
    An weiteren Beispielen wollten es manche nicht fehlen lassen:
    » Sie wollen um jeden Preis die Banken retten«, warf einer ein, und ein zweiter beschwerte sich mit den Worten:
    »Am Samstag wollen sie schon wieder die Leopoldstraße sperren.«
    »Wer versuchen wollte«, sagte Z., »das Wort sie durch das unpersönliche Pronomen man zu ersetzen, würde bald merken, daß das nicht möglich ist. Zugleich aber setzen solche Sätze voraus, daß jeder weiß, wer gemeint ist, obwohl kein Akteur genannt wird.«
    »Natürlich«, rief einer. »Das sind immer Die da oben. Die Kapitalisten. Die Politiker. Die Medien. Die Bürokratie.«
    »Eben. In jedem Fall scheint es sich um eine namenlose Obrigkeit zu handeln. Eine reichlich nebulöse Vorstellung! Wer so spricht, und wer tut das nicht, schwankt zwischen Widerspenstigkeit und Ressentiment.
    Jetzt fällt mir auch der Name der polnischen Reporterin wieder ein. Sie heißt Teresa Toran´ska, und ich ziehe den Hut vor ihrem Buch; denn sie beschreibt darin präzise die unvermeidlichen Deformationen derer, die einer solchen Obrigkeit angehören. Dabei spielt es keine Rolle, wer ›die das oben‹ sind und wie sie ihre Herrschaft ausüben.«
    Und damit zog Z.

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