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Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Titel: Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Magnus Enzensberger
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Blöße zu geben? Sollte er nun weiter schweigen oder sich zu einer Auskunft bereit finden? In jedem Fall hätte der Fragesteller Grund gehabt, zu maulen.
    Der Zufall kam Z. zu Hilfe. Er zeigte nach oben, wo hoch über den Bäumen ein silberner Zeppelin schwebte. Alle sahen zu, wie das Luftschiff kleiner und kleiner wurde, bis es verschwunden war, und schon hatten sie die Frage vergessen.

123 Z. erklärte, daß er nichts auf seine Träume gebe. Wenn er nicht irre, so bestehe der Fehler derer, die sie zu deuten suchten, darin, daß sie bei ihren Erörterungen hellwach seien. Das gleiche dem Versuch, die Konturen einer dahinziehenden Wolke festzuschreiben.

124 Als es eines Abends spät wurde, versicherte Z. denen, die noch geblieben waren, die Unbefangenheit sei ein hohes Gut. Wer sie eingebüßt habe, pflege sich nur noch verdruckst zu äußern. Die vielgeschmähte politische Korrektheit sei nur eines unter vielen Symptomen der traurigen und wehleidigen Gemütsverfassung, unter der viele unserer Mitmenschen litten. Was auf diese Weise verlorengehe, habe mit Ideologie nichts zu tun und lasse sich schwerlich zurückgewinnen.

125 Ein anderes Mal bemängelte eine junge Dame in Reitstiefeln, die etwas vorlaut war, daß Z. an allem etwas auszusetzen habe. Ob er ein Querulant sei?
    »Das ist eine gute Frage«, entgegnete Z. ungerührt. Die Neigung, sich über alles mögliche zu beschweren, sei verständlich. Man könne kaum sein Zimmer verlassen, ohne dafür genügend viele Anlässe zu finden.
    »Der Querulant allerdings leidet unter mehr als einer Schwäche. Zum ersten mangelt es ihm an Selbstbewußtsein, so daß er sich stets gekränkt fühlt. Zweitens fehlt es ihm an Ökonomie. Statt seinen Groll gleichmäßig auf die Welt zu verteilen, so daß die Giftdosis weniger Schaden anrichtet, konzentriert er sich auf das Nächstliegende. Meistens nimmt er seine Nachbarn, Rivalen und Kollegen aufs Korn. Das schlimmste aber ist, daß er blindlings auf die Hilfe irgendwelcher Institutionen setzt. Deshalb verfaßt er Strafanzeigen, Klagesätze, Dienstaufsichtsbeschwerden, Eingaben und Abmahnungen ohne Ende, die er locht und inLeitz-Ordnern abheftet. Am meisten hat natürlich er selbst unter seinen Beschwerden zu leiden.«

126 »Auf dem Marktplatz von Marrakesch«, erinnerte Z. sich, »gibt es Märchenerzähler, die so lange ihre Stimme erheben, bis sich eine ausreichend große Schar von Passanten eingefunden hat, die wissen wollen, wie die Geschichte ausgeht. Wie Sie sehen, fehlt mir der Teller für den Obolus, den die Erzähler von ihrem Publikum erwarten, ebenso wie die Büchse, die jene einsamen älteren Leute einem hinhalten, die an zugigen Straßenecken die frohe Botschaft verkünden.
    Von mir hingegen haben Sie keine Bekehrung zu erhoffen oder zu befürchten.«
    Rufer in der Wüste gebe es ohnehin genug, setzte er hinzu. Es freue ihn, daß niemand unter uns sich zu milden Gaben oder Beifallsbekundungen hinreißen lasse.

127 Ein älterer Mann hob den Finger. »Sie wollen sich nicht festlegen«, monierte er. »Man hat oft den Eindruck, daß Sie überhaupt keine Position einnehmen.«
    »Das mag daran liegen«, sagte Z., »daß ich, anders als die Buche, unter deren Schatten wir uns versammelt haben, beweglich bin.«
    Überhaupt fehle ihm die Lust, sich festzunageln. Selbstbeschreibungen seien ohnehin unzuverlässig. Das Etikettieren müsse man anderen überlassen, gleichgültig, ob es schmeichelhaft oder unvorteilhaft ausfalle. Wenn zum Beispiel einer von sich selbst behaupte, er sei ein tiefgläubiger Adventist, ein Rebell oder auch nur ein ehrlicher Kerl, so nähre er damit nur die Zweifel eines jeden vernünftigen Zuhörers.

128 »Von einigen Sterblichen heißt es«, berichtete Z., »sie stünden im Geruch der Heiligkeit. Die Theologen, die für alles eine treffende griechische Vokabel finden, sprechen in solchen Fällen von Osmogenesia. Diese Vorstellung scheint bis auf das Ägypten der Pharaonen zurückzugehen, aber ichweiß, daß sie sich in manchen Kreisen bis heute hält. Die Umgebung des heiligen Paters Pio, der erst 1968 verstorben ist, konnte diesen Wohlgeruch des öfteren wahrnehmen. Es heißt, er sei von seinem Körper ausgegangen, von den Gegenständen, die er berührt habe, und von seinen Kleidern. Ein Ordensbruder, der sich ihm näherte, war davon derart betört, daß er in Ohnmacht zu fallen drohte.«
    Z. sah, daß es unter uns einige stöhnende Skeptiker gab. Um sie zu beruhigen, zitierte er Heinrich Heine.

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