Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)
Viele Blumen dufteten süß, heiße es in den Reisebildern , obwohl sie aus einer Zwiebel hervorgegangen seien. Für unsereinen sei es »hinreichend, wenn man nur hienieden nicht übel riecht«.
129 Z. sagte: »Gelegentlich trifft man Leute an, die das Bedürfnis haben, sich zu profilieren. Sie befürchten wohl, daß man sie leicht verwechseln könnte. Das ist eine Frage der Reflexion. Zwei Spiegel im Badezimmer könnten ihrem Problem abhelfen. Um zu überprüfen, wie sie von der Seiteaussehen, müßten sie nur die Spiegel richtig einstellen. Nötigenfalls sollten sie sich an einen Chirurgen wenden, der ihnen gern zu einer markanten Nase verhelfen würde.«
130 »Die Gesellschaft ist ein Despot, der keine Gefängnisse braucht«, sagte Z. »Wenn mir wieder einfallen sollte, wer das gesagt hat, würde ich seinen Namen nicht verschweigen. Geht es euch auch manchmal so, daß euch ein genialer Satz im Kopf herumspukt, den ihr nie wieder loswerdet?«
131 Ein dünner Sechzehnjähriger, der ein T-Shirt mit der Aufschrift syntech.com trug, fragte Z., ob er immer noch telephoniere. »Ungern«, war die Antwort. »Dieser Apparat ist ein grobschlächtiger Störenfried.« – »Trotzdem machen Sie von ihm Gebrauch.« – »Wenn es gar nicht anders geht.« – »Das verstehe ich nicht«, sagte der Fragesteller. »Das Telephon ist umständlich, veraltet und überflüssig. Leute meines Alters haben keine Lust mehr, ihre Zeit mit small talk zu verschwenden. Eine SMS hat 160 Zeichen.Alle Welt chattet, bloggt und twittert, das genügt. Sie sollten Ihr Telephon abmelden.«
Z. schwieg. »Sie haben recht«, sagte er nach einer Weile. »Wenn ich Ihnen von den Telegraphenstangen an der Landstraße erzählen wollte, dem Auf und Ab der Drähte, von den Sperlingen, die sich auf ihnen niederließen, und von der Notenschrift, die sie an den Himmel schrieben – Sie würden mich kaum verstehen. Aber das macht nichts. Zwitschern Sie ruhig weiter!«
132 Mit der Theologie sei es auch nicht mehr so weit her wie zu ihren Blütezeiten. Z. sagte, er bedaure das. Einst hätten sich die besten Köpfe Europas dieser Wissenschaft gewidmet. Duns Scotus, der doctor subtilis, oder Thomas von Aquin, der doctor angelicus, hätten nie die vollkommene mit der unvollkommenen Gnade verwechselt oder läßliche und Todsünden in einen Topf geworfen. Man möge übrigens bedenken, daß es ein Scholastiker war, nämlich Wilhelm von Occam, der den Grundstein zur modernen Logik gelegt hat.
133 »Wenn euch jemand etwas garantiert«, bemerkte Z., »schenkt ihm keinen Glauben. Etwas Derartiges kann es gar nicht geben. Ihr braucht nur das Kleingedruckte zu lesen, um euch davon zu überzeugen. Ob es sich um eine Versicherungspolice handelt, um ein Wahlversprechen, die Botschaft ist immer dieselbe. Sie brauchen nur eine bescheidene Bohrmaschine zu kaufen, und man wird Ihnen eine Broschüre aushändigen, die auf 64 Seiten und in sieben Sprachen erklärt, daß niemand für das Unvorhergesehene haftet. Je nach der Kultur, in der man sich bewegt, trägt es verschiedene Namen: Höhere Gewalt, Force majeure oder, warum nicht gleich, An Act of God. Türkisch Mücbir sebep bedeutet anscheinend »ein zwingender Grund«. Wie die Ausreden auf arabisch, urdu oder chinesisch lauten, möchte man lieber gar nicht wissen. Am besten laßt ihr die Parteiprogramme ungelesen, verzichtet auf die Hagelschlagversicherung und werft eure defekte Bohrmaschine einfach weg.«
134 »Es gibt in Europa Politiker, die fassungslos vor der Möglichkeit einer Staatspleite stehen«, sagte Z. »Diese Leute kommen mir vor wie Mediziner, die nie von der Existenz der Tuberkulose gehört haben und sich wundern, wenn ihre Patienten Blut spucken. Nun bin ich wahrhaftig kein Historiker. Aber es genügt doch, am Wochenende ein Taschenbuch durchzulesen – man denke nur an Carmen Reinharts und Kenneth Rogoffs heroische Arbeit mit dem schönen Titel This Time is Different. Eight Centuries of Financial Folly , 2009 erschienen und für $ 19.95 zu haben. Darin sind die Pleiten von 65 Staaten aufgelistet. Unter ihnen ragt Griechenland dadurch hervor, daß es, seitdem es 1822 seine Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich proklamierte, bis zum heutigen Tag während der Hälfte dieser Zeit zahlungsunfähig war.
Keiner jener Politiker, die in Brüssel und anderswo ihre Gipfelbeschlüsse verkünden, scheint von alledem gehört zu haben. Weshalb eine derart abgrundtiefe Ignoranzdiese Leute für Spitzenpositionen qualifizieren
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