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Herrndorf, Wolfgang - Sand

Herrndorf, Wolfgang - Sand

Titel: Herrndorf, Wolfgang - Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
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flüsterte Carl auf Arabisch.
    Sie nickte, schloss langsam die Augen und zog ihn auf sich. Ihr Gesicht nahm einen verzückten Ausdruck an. «Weiter», stöhnte sie, und Carl, der merkte, dass sie kein Arabisch verstand, nannte sie eine dumme Kuh, eine hässliche Alte, ein verblödetes Dauerwellen-Mädchen. Während das Zimmer rhythmisch auf und ab schwankte, fiel sein Blick auf den gelben Blazer, den er neben das Bett geworfen hatte. Er musste an die Gegenstände in den Taschen denken, besonders an den Stadtplan. Irgendwie war er nicht bei der Sache. Er kniff die Augen zu und versuchte sich vorzustellen, es sei Helen. Er steckte seinen Kopf in die Achselhöhle der Frau und wusste: Das war nicht das erste Mal. Er hatte Frau und Kind, er hatte mit seiner Frau verkehrt. Er vergaß zu atmen und schnappte nach Luft. Endlich hörten ihre Bewegungen auf.
    Während die Frau duschte, lag er rücklings auf dem Bett und starrte die Zimmerdecke an. Türenschlagend kehrte die Frau zurück. Er hörte, wie sie sich abtrocknete, hörte, wie sie ihre Kleidungsstücke überstreifte. Dabei redete sie die ganze Zeit leise vor sich hin. Sie sagte, dass er ein erbarmungsloser Stecher sei, ein sehr harter Ficker, ein Tier. So ähnliche Dinge hatte sie auch die ganze Zeit über im Bett gesagt (und sie wiederholte sie vielleicht, um nicht wankelmütig vor sich selbst zu erscheinen, sie schien den Tränen nahe). Zum Abschied kam sie noch einmal auf ihn zu, legte den Zeigefinger auf seine Lippen, dann auf ihre Lippen und sagte: «Wenn wir uns zufällig noch mal begegnen: Du weißt Bescheid. Wir kennen uns nicht.»
    Sie schaute ihn an, bis er nickte. Dann ging sie, und er blieb liegen und starrte weiter die Decke an. In allen vier Ecken des Zimmers waren Reste abgebröckelten Stucks erkennbar. Über der Fensterfront hatten sich mehrere, einander umschließende Ringe von Wasserrändern gebildet. Ihre kalligraphischen Umrisse sagten ihm nichts, was exakt das war, was ihm die meisten anderen Dinge und Gesichter auch sagten, und er dachte über den geheimen Sinn dieser Analogie nach. Die Augen fielen ihm zu.
    Nach einer Weile hörte er Geräusche aus einem Nebenzimmer. Ein Stöhnen, als ob zwei Menschen miteinander verkehrten. Carl wollte das nicht hören und vergrub seinen Kopf in den Kissen. Das Stöhnen der beiden wurde lauter, wobei genau genommen nur die Frau zu hören war. Den Mann schuf seine Phantasie hinzu. Es konnten also auch zwei Frauen sein, die sich dort vergnügten. Oder eine Frau mit zwei Männern. Oder eine Frau allein. Die Zahl der Möglichkeiten beunruhigte ihn.
    Er überlegte, dass in dem Zimmer, in dem er sich befand, vor wenigen Minuten die gleichen Geräusche zu hören gewesen waren, und auf einmal kam es ihm vor, als ob es nicht nur die gleichen, sondern dieselben Geräusche wären, das Stöhnen der verrückten Frau, das jetzt als sehr verspätetes Echo durch die Zimmerwand zu ihm drang. Wie eine Tonbandaufzeichnung, die jemand im Nebenraum von ihnen gemacht hatte und nun noch einmal zur Kontrolle abspielte, ein Echo seiner eigenen, nicht vorhandenen Leidenschaft. Er saß aufrecht im Bett, ein Ohr an der Wand. Das Stöhnen steigerte seinen Rhythmus über einige Minuten und fiel dann plötzlich eine Oktave herab wie eine Polizeisirene, die vorüberfährt, während eine zweite Stimme dumpf und kurzatmig dazwischenschnaufte. Dann wurde es wieder still.
    Carl war erleichtert, die Stimme des Mannes noch gehört zu haben, die ganz erkennbar nicht seine eigene war.
    Er hatte während der ganzen Sache mit der Frau nur anfangs leise Arabisch gesprochen und dann still zu bleiben versucht; aus mehrfacher Verlegenheit. Erstens kannte er die Frau nicht, zumindest war er sich ziemlich sicher, sie nicht zu kennen. Zweitens verbarg er etwas vor ihr, von dem man schlecht sagen konnte, was es war, und drittens konnte er sich zwar daran erinnern, dass man beim Geschlechtsverkehr Geräusche machte, er wusste aber nicht mehr, welche das bei ihm selbst sein würden, und fürchtete, sich selbst bei erschreckend unbekannten Lauten zuhören zu müssen.
    Ohne es zu wollen, döste er ein. Im Halbschlaf glaubte er, tatsächlich eine Polizeisirene vorüberfahren zu hören, sagte sich, dass sie hinter ihm her seien … und schlief weiter. Schmerzhaft pickte irgendetwas von hinten an seine Schädeldecke. Er blinzelte und sah einen Lichtfleck in Form einer Mondsichel über seine Netzhaut irren. Zuckend und pickend glitt die Sichel nach links in die Nacht.

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