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Herrndorf, Wolfgang - Sand

Herrndorf, Wolfgang - Sand

Titel: Herrndorf, Wolfgang - Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
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der Händler, vor dessen Laden der Mercedes parkte.
    Carl winkte ab und versank in der Betrachtung der Getränkedose. Er sah die Ameisenstraße. Er sah die Straße. Er sah das blanke Aluminium.
    «Hey, Mann.» Aggressiver Ton. Sehr aggressiver Ton.
    «Mich interessiert nur die Dose hier», sagte Carl und versuchte die beiden wegzuwedeln wie Fliegen. «Du hast an der Tür von dem Auto gerüttelt.»
    «Ja und?»
    «Ist das dein Auto?»
    «Was geht dich das an? Ist es dein Auto?»
    «Nein, das ist nicht mein Auto. Aber ist das dein Auto?»
    «Ja, das ist mein Auto!», sagte Carl entnervt. Die Dose bewegte sich ein wenig. Er bog eine Ecke nach oben, um sie besser greifen zu können, und rüttelte mit aller Kraft daran. Er wusste überhaupt nicht, was er damit wollte. Die Ameisen krabbelten über seine Finger.
    Hinter ihm tuschelten die Männer. Dann sagte der eine: «Hey, wie redest du? Wie redest du denn mit uns?»
    Carl schlenkerte eine Hand in seinem Nacken. Sie sollten verschwinden.
    «Wenn es dein Auto ist, warum fährst du nicht ein paar Zentimeter vor?»
    Carl spürte eine leichte Berührung im Rücken, offensichtlich ein Fußtritt, dachte eine Sekunde nach und sagte: «Gute Idee.» Demonstrativ das Schlüsselbund aus der Tasche ziehend erhob er sich, klopfte den Staub von seinen Knien und ging um das Auto herum in der Hoffnung, dass die beiden Störenfriede dann verschwinden würden.
    Tatsächlich gingen sie ein paar Meter weiter, blieben dann aber wieder stehen und beobachteten ihn misstrauisch. Er stellte sich an die Fahrertür, tat, als würde er den Autoschlüssel ins Schloss stecken, und gleichzeitig, als habe er am Ende der Straße etwas höchst Interessantes entdeckt. Es funktionierte. Er sah aus den Augenwinkeln die beiden Männer langsam weiterschlendern. Der Schlüssel rutschte ins Schloss, und mit einem schmatzenden Geräusch öffnete sich die Zentralverriegelung.

    NICHTS VON BEDEUTUNG
     
    Alicia: My car is outside.
    Devlin: Naturally.
    Hitchcock, Notorious
     
    Er brauchte einige Minuten, um sich zu beruhigen. Nachdem er auf dem Fahrersitz Platz genommen hatte, fiel sein Blick als Erstes in den rechten Rückspiegel, der im chromglänzenden, leicht trapezförmigen Rahmen mit abgerundeten Ecken eine zerquetschte Getränkedose unter dem Hinterrad zeigte.
    Es überwältigte ihn. Er sank mit der Stirn aufs Lenkrad, und die Autohupe schreckte ihn wieder hoch. Er atmete drei-, viermal tief durch und griff nach der Aktentasche auf dem Beifahrersitz, ließ sie fallen und sackte erneut zusammen. Alle Muskelspannung war aus seinem Körper gewichen. Er fühlte sich nicht wohl. Er fühlte sich überhaupt nicht wohl. Auf einmal war er sich nicht mehr sicher, ob er sofort wissen wollte, wer er war. Ob er überhaupt wissen wollte, wer er war. Einige Minuten vergingen. Durch die Windschutzscheibe betrachtete er die schmale Straße, den spärlichen Verkehr und die beiden Männer, die sich in ein nahes Café gesetzt hatten und ihn von dort aus beobachteten. Neben ihnen boxte ein Junge eine Faust in die Luft und rief: «Ouz!»
    Hinter den Häusern echote es schwach.
    Der Inhalt der Aktentasche war eine Enttäuschung. Der Stoß Papier, der hervorgerutscht kam, war unbeschrieben, etwa zwanzig Blatt, weiß, unliniert. Dazu ein abgegriffener Stadtplan von Targat, ein leeres Brillenetui und weiter nichts.
    Carl lief um das Auto herum zum Kofferraum. Darin fanden sich ein bunter Ball und Schraubenschlüssel. Im Handschuhfach lagen zwei braune Glasampullen und unter den Sitzen eine Sonnenbrille, ein Kugelschreiber aus poliertem Metall, zwei flaschenlose Drehverschlüsse mit Coca-Cola-Emblem und eine stumpfe Rasierklinge. Außerdem ein kleiner Notizblock und ein Cardigan aus schwarzer Wolle mit leeren Taschen. Das war alles. Und nichts von alledem erlaubte auf den ersten Blick einen Rückschluss auf die Identität des Autobesitzers. Auch nicht auf den zweiten Blick. Die beiden Glasampullen waren zu neun Zehnteln gefüllt mit einer klaren Flüssigkeit. Ein nur auf einer Ampulle undeutlich lesbarer Aufdruck ließ ein Morphiumpräparat vermuten. Der Notizblock war unbeschrieben wie der Stoß Papier. Der Kugelschreiber malte mit blauer Tinte einen Kringel auf den Notizblock. Auf dem Clip des Kugelschreibers war in Schreibschrift der Schriftzug «Szewczuk» eingestanzt. Offensichtlich die Firma.
    Carl schraubte den Stift auseinander, malte mit der Mine einen weiteren Kringel auf das Papier und schraubte ihn wieder zusammen. Er

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