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Herrscher der Eisenzeit - die Kelten - auf den Spuren einer geheimnisvollen Kultur

Herrscher der Eisenzeit - die Kelten - auf den Spuren einer geheimnisvollen Kultur

Titel: Herrscher der Eisenzeit - die Kelten - auf den Spuren einer geheimnisvollen Kultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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tragen sie ihn in einer schweigenden Prozession den kleinen Pfad entlang, der tief in den düsteren Wald führt. Irgendwann wird der Pfad enden, und nur noch wenige der heiligen Männer werden wissen, wie man weiterlaufen kann, ohne dass einen das Moor verschlingt. Dort, in der tückischen, tödlichen Unsicherheit der Erde, wird er seine letzte Ruhe finden, er, der sich hingegeben hat für die anderen.
    Der sogenannte »dreistufige Tod« ist ausschließlich hohen Persönlichkeiten des Stammes vorbehalten. Diese opfern sich selbst, wenn die Bedrohung so groß erscheint, dass das »normale« Menschenopfer (der gemeine Kriegsgefangene) als ein zu geringer Preis für die Abwendung des Unheils erscheint. Der im Moor in der Nähe des englischen Lindow gefundene junge Mann wurde am Vorabend der römischen Invasion rituell hingerichtet.
    Doch ist der in den Augen der klassischen Berichterstatter wohl grausamste Aspekt der religiösen Opferpraktiken, nämlich das Menschenopfer, natürlich nichts typisch Keltisches. Die Römer selbst praktizieren es in den verschiedensten Spielarten. So ist der religiöse Aspekt der Gladiatorenkämpfe, einschließlich der rituellen Tötungdes Unterlegenen, unübersehbar. Der Anführer des vereinigten gallischen Heeres gegen Iulius Caesar, der charismatische Vercingetorix, wird 46 v. Chr. nach mehreren Jahren der Gefangenschaft rituell erdrosselt. Man mag das eine als Spiel mit religiösen Elementen und das andere als normale Bestrafung eines prominenten Kriegsgefangenen betrachten. Nicht von der Hand zu weisen ist jedoch der Vorfall aus dem Jahr 114 v. Chr., als in Rom zur Beschwichtigung der Götter zwei Griechen und zwei Gallier geopfert werden.
    Doch nicht alle Rituale sind Opferhandlungen. Oft genug finden sich die Menschen unter Führung der Angehörigen des heiligen Ordens oder auch nur Letztere zu heiligen Gesängen und Tänzen zusammen. Für diese Zusammenkünfte gibt es jedoch keine Tempel. Der religiöse Kelte lebt im heiligen Einklang mit der Natur und der Umwelt. Warum sollte er zum Pflegen seiner heiligen Riten in einen abgeschlossenen Raum gehen? Nein, der Ort, an dem er zu den Göttern spricht, ist in der freien Natur, vorzugsweise umgeben von Bäumen, die als Verbindungen zum Himmel betrachtet werden. Folgerichtig tragen die religiösen Versammlungsorte einen ganz speziellen Namen: nemeton , das keltische Wort für ›Heiligtum‹ beziehungsweise auch Drunemeton – ›Eichenbaumheiligtum‹, wie es bei den Galatern in Kleinasien heißt. Ein kleiner sprachwissenschaftlicher Hinweis darauf, dass Naturheiligtümer sehr alt sind, ist die offenbar auf einen gemeinsamen indoeuropäischen Ursprung zurückzuführende Verwandtschaft des keltischen Wortes mit dem griechischen temenos mit derselben Bedeutung. Welchen besonderen Stellenwert Bäume haben, zeigt letztlich auch die keltische Bezeichnung der Obersten des heiligen Standes; dru vid bedeutet »der, der den Eichenbaum kennt«.
    Gelegentlich gibt es auch bei den Kelten Phänomene, die von dem, was üblich ist, abweichen. Etwas, was heute wohl in der Rubrik »Sekte« rangieren würde. So berichtet Strabo von einer Gemeinschaft von gallischen Priesterinnen, die auf einer Insel an der Mündung der Loire lebt, und ein seltsames Ritual pflegt. Auf dieser Insel steht ein Tempel, dessen Dach mit Schilf oder Stroh gedeckt ist. Einmal im Jahr decken sie den Tempel ab, nur um ihn am selben Tag wieder neu zu decken, wobei diese Arbeit bis zum Sonnenuntergang abgeschlossen sein muss. Sorgfalt bei der Arbeit ist bei den Priesterinnen nicht nur heilige Pflicht, sondern sogar lebenswichtig. Denn wenn eine ihr Schilfbündel zu Boden fallen lässt, dann geraten die anderen in hysterische Raserei, stürzen sich auf die Unglückliche und reißen sie mit bloßen Händen in Stücke. Unter Schreien tragen sie anschließend die Leichenteile um den Tempel herum, und zwar so lange, bis ihre Raserei nachlässt.
    Religion wird nicht praktiziert, sondern gelebt. Insofern versteht es sich von selbst, dass sich die rituellen Handlungen und Opfer nicht auf die offiziellen Anlässe beschränken, in denen es um das Wohl des ganzen Stammes geht. Welche kleinen Rituale jeder Einzelne ausführt, um seine persönlichen Gefallen von den Göttern und Geistern zu erbitten, ist nicht bekannt. Eine besondere Stellung nehmen im Haushalt jedoch offenbar die Vorratsgruben ein, in denen das Getreide aufbewahrt wird. Wenn eine solche Grube nach vielen Jahren des Gebrauchs

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