Herrscher des Lichts - Sanderson, B: Herrscher des Lichts - The Hero of Ages, Mistborn 3
gleichem Eifer daran gearbeitet, sie zu retten und in ihren Metallgeistern zu sichern, damit sie eines Tages wieder gelehrt werden konnten. Vor allem hatten die Bewahrer nach einem gesucht: nach dem Wissen um ihre eigene Religion und dem Glauben des Volkes von Terris. Er war während des zerstörerischen Chaos untergegangen, das auf die Thronbesteigung des Obersten Herrschers gefolgt war. Doch trotz der Arbeit von vielen Jahrhunderten hatten die Bewahrer diese kostbarsten aller Informationen nie gefunden.
Ich frage mich, was geschehen wäre, wenn wir diese Religion tatsächlich wiederentdeckt hätten, dachte Sazed, während er einen Stahlgeist in die Hand nahm und ihn mit ruhigen Bewegungen
polierte. Vermutlich gar nichts. Er hatte die Arbeit an den Religionen in seiner Mappe für den Augenblick aufgegeben, denn er fühlte sich zu entmutigt zum Studium.
Es waren noch fünfzig Religionen übrig. Warum täuschte er sich selbst und hoffte, in ihnen mehr Wahrheit zu finden als in den vorangegangenen zweihundertfünfzig? Keine der Religionen hatte die Jahre überdauert. Sollte er sie nicht einfach in Ruhe lassen? Ihre Durchstöberung schien Teil des großen Irrtums zu sein, der im Werk der Bewahrer lag. Sie hatten darum gekämpft, die Glaubenssätze der Menschen zu retten, aber diese Glaubenssätze hatten bereits bewiesen, dass sie nicht die Kraft zum Überleben besaßen. Warum sollte man sie wiederbeleben? Das schien genauso sinnlos zu sein wie die Rettung eines kränklichen Tieres, damit es abermals seinen Jägern zum Opfer fiel.
Er polierte weiter. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Weher ihn beobachtete. Der Besänftiger war zu Sazeds »Zimmer« gekommen und hatte sich darüber beschwert, dass er nicht schlafen könne, solange er wisse, dass Spuki noch immer irgendwo da draußen sei. Sazed hatte genickt, aber das Polieren nicht unterbrochen. Er wollte nicht in ein Gespräch hineingezogen werden; er wollte nur allein sein.
Leider stand Weher nun auf und kam zu ihm herüber. »Manchmal verstehe ich dich nicht, Sazed«, sagte er.
»Ich strebe nicht an, rätselhaft zu sein, Graf Weher«, erwiderte Sazed und machte sich daran, einen kleinen Bronzering zu polieren.
»Warum pflegst du sie so?«, fragte Weher. »Du trägst sie ja doch nicht mehr. Du scheinst sie sogar zu meiden.«
»Ich meide die Metallgeister nicht, Graf Weher. In gewisser Weise sind sie das einzig Heilige, das mir in meinem Leben verblieben ist.«
»Aber du trägst sie nicht mehr.«
Sazed polierte weiter. »Nein.«
»Warum nicht?«, fragte Weher. »Glaubst du, sie hätte es so gewollt? Sie war ebenfalls eine Bewahrerin. Bist du wirklich der Meinung, sie hätte es gewollt, dass du deine Metallgeister aufgibst? «
»Bei dieser Sache geht es nicht um Tindwyl.«
»Ach nein?«, meinte Weher. »Was soll denn das bedeuten? Ehrlich, Sazed, du verwirrst mich. Normalerweise verstehe ich die Menschen. Und daher ärgert es mich, dass ich dich nicht verstehe.«
»Wollt Ihr wissen, womit ich meine Zeit nach dem Tod des Obersten Herrschers verbracht habe?«, fragte Weher und legte den Ring auf den Tisch.
»Du hast unterrichtet«, antwortete Weher. »Du bist von uns gegangen und wolltest den Menschen des Letzten Reiches das verlorene Wissen wiederbringen.«
»Habe ich Euch je mitgeteilt, wie dieser Unterricht aufgenommen wurde?«
Weher schüttelte den Kopf.
»Schlecht«, sagte Sazed und nahm einen anderen Ring in die Hand. »Es war den Leuten egal. Sie hatten kein Interesse an den Religionen der Vergangenheit. Warum auch? Warum sollten sie etwas anbeten, an das die Menschen früher einmal geglaubt hatten?«
»Die Menschen sind immer an der Vergangenheit interessiert, Sazed.«
»Interessiert vielleicht«, wandte Sazed ein, »aber Interesse ist noch lange kein Glaube. Diese Metallgeister sind vergleichbar mit Museen und alten Bibliotheken. Die modernen Menschen haben keine Verwendung mehr für sie. Während der langen Regierungszeit des Obersten Herrschers haben wir Bewahrer so getan, als ob wir bedeutsame Arbeit leisten. Wir haben daran geglaubt, dass unsere Arbeit wichtig ist. Aber am Ende hatte nichts,
was wir getan haben, wirklichen Wert. Vin brauchte unser Wissen nicht, um den Obersten Herrscher zu töten.
Ich bin vermutlich der Letzte der Bewahrer. Die Gedanken in diesen Metallgeistern werden zusammen mit mir sterben. Und manchmal ist es mir einfach nicht möglich, das zu bedauern. Wir leben nicht in einer Zeit der Gelehrten und Philosophen.
Weitere Kostenlose Bücher