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Herrscher

Herrscher

Titel: Herrscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howell Morgan
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betrat die Zimmerflucht des Prinzen.
    Der Junge saß, noch in seiner Nachtkleidung, auf dem
Bett. Tränen hatten seine Wangen genässt, und er zitterte in dem Bemühen, ein Weinen zu unterdrücken.
    Als Kol das traurige Kind musterte, fühlte er sich kurz an seine eigene Kindheit erinnert. Dann verhärtete sich sein Herz wieder, und er setzte die Maske des Mitleids auf. Als der Prinz aufschaute, sah er eine Miene, die eine perfekte Mischung aus Trauer und Mitgefühl zeigte.
    »Was für ein schrecklicher Tag, Majestät«, sagte Kol. Er trat ans Bett und legte die Hand auf die Schulter des Knaben. »All meine Kraft gehört nun dir.«
    »Warum?«, fragte der Prinz mit zitternder Stimme. »Warum haben sie meine Mutter getötet?«
    »Weil das Töten ihrem Charakter entspricht. Deine Mutter war gut, aber sie verstehen nicht, was Güte ist. Für sie ist Güte eine Schwäche.«
    Der Prinz schauderte.
    »Weinen ist nicht unmännlich«, sagte Kol. Seine Stimme klang sanft und traurig. Er schaute dem Knaben beim Weinen zu und kratzte sich an der Schulter. Als der Prinz lange genug geschluchzt hatte, ergriff Kol erneut das Wort. »Du kannst etwas für deine Mutter tun.«
    Der Prinz hörte auf zu weinen. Seine Schultern strafften sich. »Was denn?«
    »Es wird nicht einfach sein«, sagte Kol. »Schwertstahl ist weich, bevor er gehärtet wird. Du musst dich dieser Prüfung stellen, um ein Mann zu werden. Zweifle nicht: Der heutige Tag wird dich dazu machen.«
    »Was muss ich tun?«, fragte der junge Kregant. Er klang zaghaft.
    »Geh in die Kammer deiner Mutter und schau dir das Werk der Orks an. Das bist du ihrem Andenken schuldig.«
    »Warum?«

    »Damit du weißt, wer dein Feind ist. Ein solches Wissen hält einen bei Kräften, falls einem Zweifel kommen. Es erlaubt einem, das Nötige zu tun.«
    Der Prinz schaute unsicher drein, doch Kol wusste, dass er mitkommen würde. Er möchte doch so gern ein Mann sein. Er schnippte mit den Fingern, und ein Lakai erschien. »Zieh Majestät an.«
    Diener kleideten den Prinzen in Schwarz und Gold, und Kol schnallte ihm das Schwert um. Dann führte er den Knaben durch den Palast zu Girtas Zimmerflucht. Die Männer der Königin, die den Korridor besetzt hielten, ließen den Prinzen und den General passieren. Noch bevor sie die Tür erreichten, wurde das blutige Gemetzel sichtbar. Die beiden Männer, die Kol ermordet hatte, lagen im Gang; ihre Wunden sahen viel schlimmer aus als zuvor: Sie wirkten, als seien sie in einem erbitterten Kampf niedergemacht worden. Sie waren auch nicht allein. Ein abgetrennter Arm lag auf dem Boden. Daneben ein kopfloser, in Stücke gehackter Torso.
    Kol tat so, als fiele ihm das Zittern des Knaben nicht auf. Er wollte, dass der Prinz alles sah. Sie umrundeten die Leichen und betraten die Zimmerflucht. Hinter der Tür lagen Nagtha-yat und Magtha-j an. Die für ihren Tod verantwortlichen Giftpfeile waren entfernt und durch Wunden ersetzt werden, die einen ehrenhaften Kampf vortäuschten. Die Männer, die den zweiten Beobachtungsposten bemannt hatten, lagen nicht weit entfernt. Man hatte sie der besseren Wirkung wegen niedergemacht – und damit sie keine Aussage machten.
    Der Prinz nahm sie kaum zur Kenntnis. Sein Blick galt den beiden Frauen. Die eine war die Zofe seiner Mutter. Ihr Kopf war fast abgetrennt. Sie klammerte sich noch immer
an die Frau, die ein Nachthemd und den Lieblingsmorgenmantel der Königin trug – als wolle sie sie abschirmen. Der Prinz sah das goldene Haar seiner Mutter. Es war voller Blut. Das Gesicht unterhalb der Locken war nicht mehr zu erkennen. Er wäre gern zu der Toten gelaufen, um sie zu umarmen, doch stattdessen würgte er.
    »So vergelten die Orks unsere Güte«, sagte General Kol, wobei seine Stimme vor Empörung bebte. »Und so ehren sie Verträge.« Er nahm die Hand des Prinzen. »Wir wollen diesen grässlichen Ort verlassen. Nun weißt du mehr über deine Feinde. Wir werden deine Mutter mit feierlicher Pracht bestatten. Die Männer, die für sie gefallen sind, sollen geehrt werden. Lieder und Legenden werden ihre Tapferkeit rühmen. Die Orks werden wir wie Abfall verbrennen. «
    Kol führte den Prinzen in einen Raum mit einem großen Fenster. Von hier aus konnte man die Stadt überblicken. Im Schneegestöber wirkte Taiben wie ein Phantomreich. Kol rief einen Lakaien und ließ dem Knaben einen Kelch mit gewürztem, gesüßtem Glühwein servieren. Er schaute ihm beim Trinken zu und wartete, bis die Farbe in sein Gesicht

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